Fleischeslust - Erzaehlungen
drehte den Anschlußstutzen zu dem vollen hinüber.
»Probleme mit dem Gas?«
Die Stimme kam von hinten und etwas über ihr, und sie fuhr zusammen, wie von einem Hornissenstich. Noch bevor sie herumwirbelte, wußte sie, wem die Stimme gehörte.
»He, he, ich wollte Sie nicht erschrecken. Schon gut. Entschuldigung.« Da stand er, der fröhliche Camper, das Messer ans Bein geschnallt, direkt in ihrem Rücken und zwei Stufen über ihr. Diesmal verbargen sich seine Augen hinter einer Sonnenbrille mit Spiegelgläsern. Die Krempe des Stetsonhuts war tief ins Gesicht gezogen, und er trug einen Schafpelzmantel, den flauschigen Kragen hochgestellt.
Sie konnte ihm nicht antworten, geschweige denn ihn anlächeln oder freundlich sein. Er hatte sie außerhalb ihres Allerheiligsten überrascht, draußen im Freien, einhundertfünfzig ermüdende Stufen weit weg vom Funkgerät, dem Küchenmesser, dem harten, flachen Bett mit der Aussicht. Sie duckte sich. Er baute sich über ihr auf, seine Schultern wie aus dem Himmel geschnitzt. Todd war in der Schule. Mike – an Mike wollte sie gar nicht denken. Sie war mutterseelenallein.
Er stand reglos da, in seinem Gesicht bewegte sich nur der Schnurrbart, der sich jetzt zum Grinsen hob und die Zähne entblößte. »So was kann echt nervig sein«, sagte er, und wieder stahl sich der joviale Ton in seine Stimme, »solche Gastanks, meine ich. Gefährliche Dinger. Ich selber koche elektrisch.«
Sie hatte sich vorsichtig aus der Hocke erhoben, ihre kräftigen Beinmuskeln spannten sich an. Sie hätte es riskiert, die Stiege hinaufzurennen, alle einhundertfünfzig Stufen, hätte ihren Beinen voll vertraut, aber er blockierte die Treppe – fast als wollte er ihr zuvorkommen. Sie hatte noch kein Wort gesagt. Sie wirkte verängstigt, das wußte sie. »Campen Sie immer noch?« fragte sie, bemühte sich darum, das Gesicht zu entspannen und sein Lächeln zu erwidern, auf dem Banalen und Normalen zu beharren, auf dem bedeutungslosen Geplänkel einer bedeutungslosen Konversation.
Er sah weg von ihr, das Licht blitzte auf den leicht konvexen Gläsern der Sonnenbrille, und er tippte eine der hölzernen Stufen mit seiner silbernen Stiefelspitze an. Dann wandte er sich wieder zu ihr um und nahm die Sonnenbrille ab. »Ja«, sagte er achselzuckend, »schon irgendwie.«
Die Antwort war unerwartet. Schon irgendwie? Was sollte das bedeuten? Er hatte sich nicht bewegt und betrachtete sie mit diesem Blick – sie kannte den Blick, kannte die Pose, kannte den Schnurrbart und den Hut, aber seinen Namen kannte sie nicht. Er kannte ihren, aber sie kannte seinen nicht, nicht mal den Vornamen. »Entschuldigung«, sagte sie, und als sie jetzt zum Schutz vor der Sonne eine Hand an die Augen führte, zitterte sie, »wie war doch gleich Ihr Name? Ich meine, ich kenne Sie, nicht nur von gestern früh, sondern auch von damals, so etwa vor einem Monat, aber...« Sie verstummte.
Er schien sie nicht gehört zu haben. Der Wind rauschte in den Bäumen. Sie blinzelte tatenlos in die Sonne – sonst konnte sie nichts tun. »Also, campen war ich eigentlich nicht«, sagte er. »Nicht daß ich die Natur nicht liebe – und ich campe schon manchmal, mit Rucksack und so –, aber ich... ich dachte, das war es, was Sie hören wollten.«
Was sie hören wollte? Wovon redete er? Sie warf rasch einen Blick auf den Ausguck, die Sonne blitzte auf den Fenstern, hinter dem Dach türmten sich Wolken auf, und er wirkte so weit weg wie die Sterne in der Nacht. Wenn sie nur dort oben wäre, könnte sie einen Notruf durchgeben, ganz bestimmt, und innerhalb von fünf Minuten wäre Hilfe da...
»In Wirklichkeit« – und er sah jetzt beiseite, ließ die Schultern hängen, wie ein geschlagener Hund, so wie damals, als sie seine Hilfe mit dem Wasserkanister abgelehnt hatte –, »in Wirklichkeit hab ich eine Hütte in der Nähe von Cedar Slope. Ich dachte mir nur, na, daß Sie es lieber hätten, wenn ich campen würde.« Er hatte auf seine Stiefelspitzen gestarrt, aber jetzt sah er plötzlich zu ihr auf und grinste so breit, daß seine Backenzahnfüllungen in der Sonne blitzten. »Ich finde, Elaine ist ein schöner Name, hab ich Ihnen das schon gesagt?«
»Danke«, sagte sie, fast wider Willen und ganz leise, so leise, daß sie sich selbst kaum hörte. Er konnte sie hier vergewaltigen, konnte sie umbringen, alles mögliche. Wollte er das? War es das? »Hören Sie«, sagte sie gepreßt, obwohl sie sich zur Ruhe zwang, »hören Sie, ich muß
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