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Fleischeslust - Erzaehlungen

Fleischeslust - Erzaehlungen

Titel: Fleischeslust - Erzaehlungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T. C. Boyle
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scheint so.« Sie beobachtete, wie ferne Wipfel ihre Patina aus Schnee abschüttelten. Ein Bussard segelte vor dem Fenster vorbei. Sie hielt sich das Mikro so dicht vor die Lippen, daß es ein Teil von ihr hätte sein können. »Zack...« Sie wollte ihm von dem Verrückten erzählen, von dem Mann mit dem Stetson, von seinen Händen, wollte ihn für alle Fälle alarmieren, aber sie zögerte. Ihre Stimme klang dünn und distanziert, verloren im elektronischen Geknister von Zeit und Raum.
    »Lainie?«
    »Ja. Ja, ich bin noch da.«
    »Es kommt noch eine Kaltfront und anschließend ein Unwetter. Könnte einiges an Schnee bringen. Die Brandwachen sind noch nicht abgesagt – Reichert sagt, so bleibt’s, bis wir nennenswerte Niederschläge haben. Na, und diesmal könnte es soweit sein. Aber entscheide selber: willst du lieber runterkommen oder oben abwarten, was passiert?«
    Reichert war der Chef, fünfzig, glatzköpfig, weich wie eine Auster. Die Bergregion war wie verdorrt – eine pulvrige Schicht aus abgestorbenem Material lag fünfzehn Zentimeter dick in den Wäldern, und jeder zweite Bach war ausgetrocknet. Die Saison konnte ebensogut bis November dauern. »Hier oben abwarten«, entschied sie.
    »Okay, es liegt bei dir. Lewis bleibt auch auf dem Posten, falls dich das beruhigt. Ich setze mich in Verbindung, wenn wir hier irgendwas Neues erfahren.«
    »Gut. Danke.«
    »Ende.«
    »Ende.«
    Am späten Nachmittag ballten sich die Wolken, und der Himmel zog sich wieder über ihr zusammen. Das Thermometer fiel abrupt. Es sah schlecht aus. Für Schneefall war es noch früh, aber in dieser Höhe konnte es immer schneien, egal welcher Monat gerade war. Jährlich gingen siebeneinhalb Meter nieder, aber sie hatte auch schon Schneestürme erlebt, bei denen ein bis anderthalb Meter auf einmal herunterkamen. Um vier sprach sie noch einmal mit Zachary, und er erzählte ihr von den eher miesen Aussichten – die Chancen für weiteren Schneefall standen bei siebzig Prozent, inzwischen bis auf neunhundert Meter hinab. »Ich laß es darauf ankommen«, sagte sie. Schlimmstenfalls hatte sie ein Paar Schneeschuhe im Lagerraum.
    Eine Stunde später begann es zu schneien. Sie machte sich gerade das Abendessen – braunen Reis mit Gemüse – und hatte die Flasche Wein geöffnet, die sie mitgenommen hatte, um ihren letzten Tag zu feiern. Die Flocken waren kleine, winzige Kugeln, die zischend herabsausten, und normalerweise verhieß das einen ernsthaften Schneesturm. Die Saison war vorbei. Sie konnte ihren Wein trinken und langsam darangehen, Ofen und Kühlschrank zu putzen und ihre Sachen zu packen. Sie legte ein Holzscheit nach und knöpfte sich die Jacke zu.
    Die Flasche war halb leer, und sie wollte sich gerade zum Essen setzen, als sie den Rauch bemerkte. Zuerst dachte sie, es sei ein Schabernack des Windes, der den Rauch ihres eigenen Ofens zurückwehte. Aber nein. Direkt unter dem Ausguck, keine hundertfünfzig Meter weiter unten, etwa da, wo der Pfad anfing, sah sie ein Feuer. Der Wind wehte einen Vorhang aus Schnee vor das Fenster. Es hatte nicht geblitzt – aber trotzdem brannte dort unten Feuer, sie war ganz sicher. Sie stand vom Tisch auf, nahm den Feldstecher vom Haken an der Tür und trat hinaus auf den Laufsteg, um es sich näher anzusehen.
    Der Sturm raubte ihr den Atem. Das ganze Universum war bleich geworden, oben weiß und unten weiß: und sie saß hoch oben auf den Wolken, lebte in ihrem durchsichtigen, gespenstischen Inneren. Jetzt roch sie auch den Rauch, den der Wind herantrug. Sie hob den Feldstecher an die Augen, doch der Schnee bildete eine Mauer; sie versuchte es noch einmal, aber diesmal wehte ihr Haar vor die Objektive. Es dauerte eine Weile, aber da, da war es: ein Feuer, das aus dem wirbelnden Strudel des Schnees emporstieg. Ein Lagerfeuer. Oder nein, es war viel größer: umgestürzte Bäume, zu einer Pyramide geschichtet – das war ein Freudenfeuer, absichtlich aufgetürmt, es war ein Zeichen. Wieder nahm ihr der Schnee die Sicht. Ihre Finger waren taub. Als das Feuer erneut scharf ins Bild kam, sah sie eine Bewegung, einen Schatten, der um die Flammen sprang, sie nährte und sich an ihnen labte, und sie hielt den Atem an. Dann sah sie auch die schwarze Spitze des Stetsonhutes, und da begriff sie.
    Er campte tatsächlich.
    Er campte. Er konnte umkommen da draußen – er war wirklich verrückt –, es konnte ohne weiteres ein Blizzard aufziehen, und dann würde es tagelang schneien. Aber er campte. Und dann

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