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Fleischeslust - Erzaehlungen

Fleischeslust - Erzaehlungen

Titel: Fleischeslust - Erzaehlungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T. C. Boyle
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den Fremden, der ihr das Frühstück verdorben hatte. Hier auf der Ecke des Betts hatte er gesessen, hinter dem Fenster hatte er mit seinem jämmerlichen Blumenstrauß gewedelt und den Himmel verfinstert. Als sie an ihn dachte, genau in diesem Moment, hörte sie draußen ein leises dumpfes Geräusch auf der Stiege, ein sachtes Rascheln, eine Bewegung, und sie konnte weder atmen noch sich rühren. Die Sekunden pochten in ihrem Schädel, und das Rascheln – es hatte geklungen wie das Fegen eines Besens – war vorbei: irgendein nächtliches Tier, eine Ratte, das flüchtige Streifen eines Eulenflügels. Sie dachte an diese Hände, die Augen, die kantigen Schultern, und sie fühlte, wie sie in die Nacht hineingezogen wurde, erleichtert und dann sogar dankbar.
    Sie erwachte sehr spät, als die schrägen Sonnenstrahlen ihre Lippen berührten und ihr in die Augen schienen. Zachary brachte über Funk die Neuigkeit, daß Oakland sich den Titel im Baseball geholt hatte und daß ein Hurrikan die Ostküste heimsuchte. »Du klingst ja entsetzlich«, sagte er. »Ich hab dich doch nicht etwa aufgeweckt?«
    »Hab gestern nicht einschlafen können.«
    »Wieder Sterne geguckt?«
    Sie versuchte für ihn zu lachen. »Stimmt«, sagte sie. Einen Augenblick herrschte Schweigen. »Meine Güte, du hast mich gerade erst abgelöst. Ich habe noch vier Tage vor mir, bevor ich wieder runterkomme.«
    »Werd bloß nicht mystisch. Und laß mir diesmal genug Müsli da, ja? Falls es dir ausgeht, sag rechtzeitig Bescheid. Wir reden hier über mein Frühstück. Und mein Mittagessen. Und manchmal, wenn ich keine Lust zum Kochen hab –«
    Sie unterbrach ihn: »– dein Abendessen, ich weiß. Ich werd darauf achten.« Sie gähnte. »Also, bis später.«
    »Okay. Ende.«
    »Ende.«
    Als sie den Kessel auf den Kocher stellte, zischte das Gas noch, aber als sie sich umdrehte, um die Butter aus dem Kühlschrank zu holen, erlosch die Flamme. Sie versuchte es mit einem zweiten Streichholz, aber es kam nichts. Das hieß, daß sie den zweiten Propantank anschließen mußte: kein Problem, nur lästig. Die Tanks, die einmal im Jahr mit dem Hubschrauber gebracht wurden, befanden sich am Fuß der Stiege, einhundertfünfzig Stufen unter ihr. Es gab dort einen flachen Platz, in der Nische, die auf einer Seite über einer überhängenden, sechs Meter hohen Felswand abgeschirmt war. Auf der anderen Seite war der nächste Vorsprung erst dreihundert Meter weiter unten.
    Sie zog sich Shorts an, und weil es trotz der Sonne kalt draußen war – einmal hatte es schon an einem fünften September geschneit, und jetzt war bald Oktober –, holte sie einen extra großen Pullover hervor, der früher Mike gehört hatte. Sie hatte ihn damals in dem Kissenbezug gefunden, der in der Eile des Auszugs ihr Kleiderschrank gewesen war; Mike hatte ihn nie zurückgefordert. Es war windig, und eine scharfe Bö durchfuhr sie, als sie die Tür aufriß und sich an den Abstieg machte. Mächtige flauschige Kumulusballen zogen eilig über den Himmel, schwollen an und wurden schmaler, wechselten ständig die Form, aber sie sah nichts, was dunkel genug – oder groß genug – gewesen wäre, um ein Unwetter anzuzeigen. Trotzdem, man konnte nie wissen. Der Wind kam vom Norden, und im Radio hatten sie angekündigt, daß vom Pazifik her eine Front aufzog – es würde sie nicht überraschen, wenn es über Nacht schneite. Ein ordentlicher Schneefall, und die Brandgefahr wäre für diese Saison vorbei, dann konnte sie nach Hause. Vorzeitig.
    Sie dachte darüber nach – an die vier Wände des Zimmers in der kleinen Selbstversorgerpension, das sie in einer öden Straße in einer öden Stadt gemietet hatte, um im Winter nahe bei Todd zu sein –, und sie hoffte, es würde nicht schneien. Nicht jetzt schon. Noch nicht. In einem trockenen Jahr – und dies war schon ihr drittes – blieb sie manchmal bis Mitte November oben. Sie erreichte den Fuß der Stiege und beugte sich über die Propantanks, zwei riesige Stahlbehälter, die im Grün der Forstbehörde gestrichen waren, und sie fühlte sich deprimiert bei dem Gedanken an diese vier tristen Wände und an die Kälte und den Wetterumschwung, der kommen würde oder auch nicht. Sie hatte eine Gänsehaut auf den Beinen, und ihr Atem hing ringsherum in der Luft. Sie blickte einem Erdhörnchen nach, sah das hellgrau gefleckte Fell des pummligen Wesens, das auf der überhängenden Felswand entlanghuschte, und dann schraubte sie die Kupplung des leeren Tanks ab und

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