Fleischessünde (German Edition)
diejenige, die hier die Regeln aufstellte.
Unter ihrer Führung gelangten sie in einen engen Korridor, an dessen Ende Calliope eine Tür aufstieß. Von hier führte eine Treppe aus Gitterrosten in einen Keller hinab. Als die Tür hinter ihnen ins Schloss fiel, drang die laute Musik nur noch gedämpft zu ihnen. Calliope hörte hinter sich ein dunkles, unterdrücktes Lachen, das ihr einen leichten Schauer über den Rücken jagte. Dann fragte er: „Hast du so etwas früher schon gemacht?“
„Nein.“ Das war nur die halbe Wahrheit. Sie hatte so etwas schon gemacht. Nur nicht hier und nicht in diesem Club. Aber im Laufe der Jahre hatte es genügend ähnliche Vorstöße von ihr gegeben.
Wieder hörte sie dieses leise, unterdrückte Lachen. Beinahe verschwörerisch. Oder wie das eines kleinen Jungen, der sich über die Heimlichkeiten freute, die sie miteinander teilten. Dabei war Calliope davon überzeugt, dass er sich auf solche Abenteuer weit häufiger einließ als sie.
Sie führte ihn durch einen mit allem möglichen Gerümpel vollgestellten Lagerraum zu einer weiteren Tür. Der Raum, den sie nun betraten, hatte ein einziges schmales Fenster hoch oben in der gegenüberliegenden Wand, das gerade so viel Licht hereinließ, dass man die zusammengeklappten Tische und Stühle erkennen konnte, die übereinandergestapelt standen. In einer dunklen Ecke befanden sich mehrere größere Kisten oder Kartons.
Calliope kannte sich inzwischen ein wenig aus. Sie war nicht zum ersten Mal hier. Sie hatte den Abstellraum vorher schon in Augenschein genommen und ein paar Vorbereitungen getroffen. Unter anderem hatte sie einen der Stühle vom Stapel gehoben und ihn ein wenig abseits hingestellt.
„Ich habe ein sehr bequemes Bett, und das ist keine zehn Minuten von hier entfernt“, ließ ihr Begleiter sich vernehmen.
„Das hier reicht völlig“, entgegnete sie. Es war mehr als ausreichend. Es war perfekt. Und sie wollte ganz sicher nicht zuihm nach Hause und in seinem Bett liegen. Sie wollte keine persönlichen Gegenstände von ihm sehen, keine Familienfotos und auch nicht feststellen müssen, was für ein Buch auf seinen Nachttisch lag. Sie wollte im buchstäblichsten Sinne des Wortes nichts von ihm wissen.
Da sie ihn, bevor sie sich an ihn herangemacht hatte, eine Weile beobachtet hatte, war sie überzeugt, dass es sich mit ihm ähnlich verhielt. Auch er suchte ein kurzes, unverbindliches Abenteuer. Aus welchen Motiven auch immer. Sie kannte nur die eigenen. Wie all ihre Schwestern von Isis’ Stamm musste sie von Zeit zu Zeit von der Lebenskraft anderer schöpfen, um ihre Energie zu erhalten. In der Regel hieß das, Menschenblut zu trinken. Calliope hatte das früher nur mit äußerstem Widerwillen über sich gebracht. Allein der Gedanke, sich von der Lebenskraft eines anderen zu nähren, war ihr ein Gräuel gewesen. Aber damals hatte sie keine andere Wahl gehabt, als sich selbst zu erhalten. Daran gewöhnt hatte sie sich jedoch nie.
Inzwischen hatte Calliope einiges an Erfahrung dazugewonnen und einen Weg gefunden, ihre Lebenskraft zu erhalten, ohne auf fremdes Blut zurückgreifen zu müssen. Aber diese Methode, die feinstoffliche, körperlose Aufnahme von purer Lebenskraft, hatte auch ihren Preis. Sie brauchte einen Ausgleich, einen körperlichen Ausgleich, und der war nur durch die körperliche Vereinigung mit einem Mann zu erreichen. Auch wenn das eine Alternative zum Blut war, schob Calliope das Problem so lange hinaus, wie ihre Kräfte es zuließen. Die Grenze war jetzt erreicht.
Calliope wollte die Hand wegziehen, aber er hielt sie fest. Sie drehte den Kopf und sah ihn über die Schulter hinweg an. Er aber drehte sie ganz zu sich und drängte sie nach hinten gegen die Wand. Die Andeutung eines Lächelns umspielte seine geschlossenen Lippen. Calliope verspürte ein Kribbeln in der Magengrube. Sie merkte, wie sich etwas in ihr wie ein Blütenkelch in der Morgensonne auftat. Ein leichtes Beben ging durch ihrenKörper, als sie daran dachte, welche Freuden dieser Mann ihr versprach.
Nachdem er ihre Hand losgelassen hatte, strich er sacht ihren Arm entlang bis zum Hals und dann über die Schulter zum Ansatz ihrer Brüste. Calliopes Puls erhöhte sich, ihr Atem ging schneller und flacher. Alles nur von dieser einen Berührung. Mit diesem Fremden hatte sie eine gute Wahl getroffen.
Wieder ließ er die Fingerspitzen über den Hals gleiten, dann über das Kinn hinauf zu den Brauen. Sein Lächeln wurde breiter. Wölfisch.
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