Fleischessünde (German Edition)
erlaubt hatte, sich so lange anfassen, umarmen, streicheln zu lassen, bis sie Erfüllung fand. Das war eine lange Pause. Die längste bisher hatte siebzehn Monate gedauert.
Calliope hatte es so lange aufgeschoben, wie es ging, und sich ihre Selbstkontrolle und Gelassenheit bewahrt, indem sie ihre Bedürfnisse ausgeblendet hatte. Darin hatte sie Übung. Was sie aus dem Gleichgewicht gebracht hatte, war vor ein paar Wochen die Begegnung mit vier Seelensammlern in der eigenen Wohnung gewesen. Dabei hatte sie keine sonderlich gute Figur abgegeben, und die gewohnte Ausgeglichenheit war seitdem nicht zurückgekehrt. Daran änderte auch die Tatsache nichts, dass einer von vier Reapern tot war und einer von ihnen inzwischen beinahe so etwas wie ein Verbündeter.
Beinahe. Wie ihre frühere Schülerin Roxy Tam zu sagen pflegte, zählte beinahe nur bei Huftritten und Handgranaten.
An diesem Abend also stand eine schnelle, unpersönliche Nummer auf dem Programm. Calliope wollte gerade genug Körperkontakt, um die entsetzliche Kälte loszuwerden, die sie bisins Mark ihrer Knochen spürte. Gerade genug, um sie in dem Glauben zu lassen, sie hätte alles im Griff. Denn es war immer eine Episode mit ungewissem Ausgang.
Aber sie hatte gar keine andere Wahl. Sie und ihresgleichen hatten nur zwei Quellen, um daraus die lebensnotwendige Energie zu schöpfen: Sex oder Blut. Wobei Blut für sie immer die härtere Option war. Calliope schloss die Augen für einen Moment. Sie wollte nicht daran denken. Jetzt war nicht der richtige Zeitpunkt, zurückzublicken und das alles wieder hochkommen zu lassen.
Nachdem sie die Waschräume verlassen hatte, bahnte Calliope sich den Weg durch die Menge und hielt Ausschau. Sie hatte ihn schon entdeckt. Ganz in Schwarz gekleidet, gehörte er zu der Sorte Männer, vor der Mütter ihre Töchter warnen. Und zu den Männern, die es schafften, dass die Töchter alle Warnungen in den Wind schlugen.
Schließlich entdeckte sie ihn auf der Tanzfläche. Eine Weile sah sie ihm zu. Er tanzte für sich allein, obwohl er von einem ganzen Schwarm Frauen umgeben war, die sich große Mühe gaben, seine Aufmerksamkeit zu gewinnen. Aber er kümmerte sich nicht um sie. Er hatte offensichtlich Freude an seinen geschmeidigen, rhythmischen Bewegungen, und Calliope musste sich eingestehen, dass es ihr Spaß machte, ihm beim Tanzen zuzuschauen. Jedes Mal, wenn er den Kopf ein wenig in den Nacken warf, blitzten zwei Ohrringe auf.
Während sie sich Stück für Stück dichter an ihn heranarbeitete, gingen ihr die Bässe aus den Riesenlautsprechern durch Mark und Bein. Seit er vor einer knappen Stunde hier aufgetaucht war, hatte Calliope ihn beobachtet. Zuerst hatte er sich an die Bar begeben und sich einen doppelten Scotch pur und ohne Eis gegönnt. Dann war er auf die Tanzfläche gegangen und die restliche Zeit dort geblieben. Er schien gar nicht zur Kenntnis zu nehmen, dass sich inzwischen ein ganzer Fanclub von sieben oder acht Frauen um ihn geschart hatte.
Calliope wusste, dass sie die Initiative ergreifen musste, bevor er sich irgendeine der jungen Damen herauspickte, um mit ihr zu verschwinden. Calliope hatte nicht die Absicht, einer anderen den Vortritt zu lassen. Für diesen Abend gehörte er ihr. Für ein im Grunde harmloses Spiel. Sie würden beide ihren Spaß haben und anschließend ihrer Wege gehen. Und dann würde ihr Verlangen wieder für eine Weile gestillt sein und ihr Ruhe lassen.
Mit einer schnellen Drehung kam sie ihm nahe genug, um ihn genauer zu betrachten. Seine vollen, schön geschwungenen Lippen waren eine harmonische Mischung aus Härte und Sanftheit. Sie bemerkte eine Narbe, die von seiner Unterlippe hinab zum Kinn ging und sich trotz des Schattens seines Dreitagebarts deutlich, wie eine feine weiße Linie, gegen seinen dunklen Teint abzeichnete. Der Gedanke fesselte Calliope, mit der Zungenspitze diese weiße Linie entlangzufahren und dabei die rauen Bartstoppeln zu spüren.
Er streifte sie mit einem Blick, der gleichgültig und unbeteiligt auf sie wirkte. Aber sein Blick kehrte zu ihr zurück. Calliope erwiderte ihn mit stoischem Ernst. Ohne zu lächeln oder zu versuchen zu flirten. Nur ihr Körper folgte seinen Bewegungen zu den harten Beats, und von nun an ließen sie beide den Blick nicht mehr voneinander.
Das eine Musikstück ging nahtlos in das nächste über. Eine der jungen Frauen, die ihn die ganze Zeit angehimmelt hatten, fasste sich offenbar ein Herz und zupfte ihn am Ärmel. Lächelnd
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