Flesh Gothic (German Edition)
zu bewegen, sich woanders hinzusetzen. Adrianne wollte niemanden in ihrer Nähe haben. Sie mochte Menschen nicht besonders.
Fensterplätze bevorzugte sie, weil der Ausblick auf den Himmel sie an ihre ganz eigene Art des Fliegens erinnerte – außerhalb ihres Körpers.
Das Geheul der Turbinen entspannte sie im Zusammenspiel mit den Schlafmitteln, von denen sie längst abhängig geworden war. Adrianne wollte einfach nur ihre Ruhe haben ...
Abwesend blätterte sie durch die aktuelle Ausgabe der Paranormal News . Sie blieb am Bild einer sympathischen Frau mit herbstblattfarbenen Augen, verhaltenem Lächeln und einem wirren Schopf tintenschwarzer Haare hängen, die wie eine Bibliothekarin aussah. Ein abwesender, wissender und zugleich ein wenig argwöhnischer Gesichtsausdruck. Der dazugehörige Artikel trug die Überschrift »Fernkontrolle: Techniken und Philosophien der Transvision« und stammte von einer gewissen Adrianne Saundlund. Adrianne war 40, doch sie dachte: Scheiße, ich muss denen sagen, sie sollen ein neues Foto verwenden. Auf dem sehe ich aus wie 50 . Sie schrieb diese alle zwei Monate erscheinende Kolumne sowie vereinzelte Beiträge für andere einschlägige Fachzeitschriften, um sich ein Nebeneinkommen zu sichern und in der Branche im Gespräch zu bleiben. Ihre Fixkosten deckte die Invalidenrente ab, die sie von der Army bezog.
Und jetzt sieh sich einer dieses Flittchen an. Sie ist 40 und sieht wie 30 aus . Ein Anflug von Neid überkam sie, als sie einige Seiten weiterblätterte und auf eine andere Kolumne einer deutlich bekannteren Parapsychologin stieß. Sie hätte sich kleinere Implantate einsetzen lassen sollen, kritisierte sie den makellosen Busen der anderen Frau. Glänzendes Haar in der Farbe eines Sandstrands umspielte ein Gesicht mit eisblauen Augen und eindringlichem Blick, der wirkte, als genieße die Frau ein heimliches Vergnügen. Der Titel der Kolumne lautete: »Paraerotik: Sexuelle Begierde und die Welt des Übernatürlichen«. Adrianne betrachtete das Foto der Frau, einer gewissen Cathleen Godwin, noch einmal kurz, dann senkte sie die Zeitschrift jäh und sah auf. Dasselbe Gesicht lächelte ihr aus dem Gang des Flugzeugs entgegen.
»Hallo Adrianne. Hast du was dagegen, wenn ich ... Ach, bestimmt hast du nichts dagegen«, sagte die sinnliche Frau, ließ sich auf den Sitz neben ihr fallen und legte eine Laptoptasche auf ihre Knie.
»Hi, Cathleen.« Verdammt! »Ich schätze mal, das ist ein Zufall, sofern es so etwas für Leute wie uns gibt.«
Cathleen Godwin wirkte müde, aber keineswegs unerfreut darüber, Adrianne zu sehen. Sie waren weder verfeindet noch richtige Rivalinnen, standen einander lediglich nicht besonders nah. Menschen mit übersinnlichen Kräften vertrauten einander selten. Als sie sich setzte, wehte der dezente Duft von Kräuterseife zu Adrianne herüber.
Ein weiterer Anflug von Unmut regte sich. Sie sieht sogar dann elegant aus, wenn sie sich beschissen anzieht, ärgerte sich Adrianne. Cathleen trug eine Bluse mit Blümchen und Sternen, so ausgebleicht, dass sie zehn Jahre alt sein musste, dazu genauso verblichene Jeans.
»Ich brauche keine übersinnlichen Fähigkeiten, um zu wissen, wohin du unterwegs bist«, meinte die Blondine. »Mal sehen ... Tampa International, dann mit einem Taxi ins Zentrum von St. Petersburg. Du hast ein Angebot von einer Frau namens ...«
»Vivica Hildreth«, bestätigte Adrianne. Sie war aufrichtig überrascht und mit einem Mal noch eifersüchtiger. Adrianne hatte zwar gewusst, dass andere PSI-Ermittler dort sein würden, was sie nicht störte, doch unter ihnen befanden sich auch Männer, was bedeutete, dass Cathleen wie üblich herumflirten und ihre Show abziehen würde. Adrianne wünschte, sie könnte die Frau als Flittchen abstempeln, aber sie wusste, dass Cathleen Godwin wesentlich mehr war. »Oder vielleicht bin ich auch nur unterwegs, um mir etwas Sonnenbräune zu gönnen«, fügte sie im Nachsatz hinzu.
»Wir sind zwei der zehn besten Medien des Landes, Adrianne, und wir sitzen beide am selben Tag in einem Flugzeug mit demselben Ziel, auf dem Weg zu einem Haus, das eindeutig mit Energie geladen ist.«
»Woher weißt du, dass es geladen ist? Bist du dort gewesen?«
»Nein, aber trotzdem – wie viele Leute waren es? 16, 17, alle im selben Zimmer von einem Satanisten abgeschlachtet.«
»Sie hat nicht gesagt, dass er Satanist war. Sie meinte nur, er sei ein Exzentriker gewesen.«
»Oh, sicher, ich würde auch sagen, dass man
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