Fliedernächte: Roman (German Edition)
auf unser Konto.«
»Wie hat sich das angefühlt?«
»Wie ein Job. Ein guter Job. Wir hatten schließlich keinerlei Erinnerungen an das Haus. Und jetzt?« Er zuckte mit den Achseln. »Irgendwie kann ich verstehen, was Mom meinte. Vielleicht hätten wir unsere Vergangenheit tatsächlich mehr beachten, stärker respektieren sollen. Mein Großvater hasst diesen Ort und hat es nie bereut, die Farm verkauft zu haben. Deshalb hatten wir Kinder keinen Bezug dazu.«
Er bog in einen schmalen Kiesweg ein.
»Ist das hier ein Privatgrundstück?«
»Eher gehört es zum Areal der Gedächtnisstätte, aber ich hab kein Verbotsschild geschehen.«
Links von ihnen tauchte der kleine Teich auf, von dem er gesprochen hatte. Im abnehmenden Licht sah das Wasser tief und dunkel aus. Lampenputzer mit samtig braunen Köpfen und sommergrüner Farn säumten das Ufer.
Ein Stückchen weiter, wo die Bäume dichter wurden, sahen sie die niedrige Steinmauer. Vielleicht hatte sie sogar Lizzys Billy, der junge Steinmetz, gesetzt. Und als sie näher kamen, entdeckten sie in der Umfriedung Grabsteine, die seit einer halben Ewigkeit den Unbilden des Wetters trotzten – einige allerdings waren inzwischen umgefallen.
»Dieser Friedhof kommt mir furchtbar einsam vor. Einsam und traurig«, stellte sie beklommen fest.
»Der Tod ist schließlich kein Freudenfest.«
Er parkte und stieg aus, gefolgt von D.B., während Hope sitzen blieb, bis Ryder um den Wagen herumkam und ihr fürsorglich die Tür öffnete. Hinter ihnen hielten die Wagen der anderen an.
Mit den vielen Leuten und den Stimmen war der Ort schon nicht mehr ganz so beklemmend, und Hope entspannte sich ein wenig. Trotzdem griff sie beim Aussteigen nach Ryders Hand, als brauche sie Trost und Schutz.
Ungefähr zwanzig Gräber mochten es sein, einige waren kaum noch zu erkennen, weil Efeu und andere Ranken die flachen Platten überwucherten. Bei manchen fehlte ein Stein ganz, oder die Schrift war im Laufe der Zeit vom Regen ausgewaschen worden. Obwohl die Verwaltung der Gedenkstätte offenbar die Rasenfläche mähte, sah der Friedhof ziemlich verwildert aus.
Hope ging zu den Steinen, auf denen noch etwas zu erkennen war. Mary Margaret Ryder. Daniel Edward Ryder. Und ein winzig kleiner Stein aus dem Jahr 1853 markierte das Grab einer Susan, die im zarten Alter von zwei Monaten gestorben war. Deutlich älter geworden war eine Catherine Foster Ryder, die von 1781 bis 1874 auf der Farm gelebt hatte.
»Dreiundneunzig«, murmelte Justine. »Ein schönes, langes Leben. Ich möchte wirklich wissen, inwieweit sie mit mir verwandt ist.«
»Sobald ihr die Bibel habt, lässt sich das sicherlich rekonstruieren.«
Murphy blickte Justine fragend an: »Warum können sie nicht wie Lizzy im Hotel wohnen? Warum müssen sie draußen bleiben?«
»Ich nehme an, dass Lizzy was Besonderes ist.« Justine nahm den Jungen auf den Arm und presste ihr Gesicht an seinen Hals.
Hope drehte sich nach Ryder um, entdeckte ihn ein Stück weiter rechts. Ohne die anderen stand er vor drei Gräbern.
Ihr Herz begann zu klopfen, als sie zu ihm ging.
»Der Mittlere.«
»Wie bitte?« Zitternd nahm sie seine Hand.
»Er wurde als Letzter geboren und starb als Zweiter. Sie waren Brüder.«
»Woher weißt du das – ich kann nichts erkennen.«
»Komm näher, dann siehst du es«, sagte er und kniete sich hin, um sich die Steine aus der Nähe anzusehen.
»O Gott. Statt seines ganzen Namens haben sie nur Billy eingraviert. 14. März 1843 bis 17. September 1862.«
»Joshua ist ein paar Wochen früher gestorben und Charlie zweiundzwanzig Jahre später. Drei Brüder«, wiederholte er.
Billy. Das war alles, was sie denken konnte. Sie hatten Billy tatsächlich entdeckt.
»Ist sie hier?« Sie hob verblüfft den Kopf. »Wie kann das sein?«
»Das ist nicht Lizzy.« Ryder deutete in Richtung Mauer. »Geißblatt. Die Mauer hinter diesen Gräbern ist fast vollständig damit bedeckt.«
Er drehte sich nach seiner Mutter um, und als sie seinen Blick bemerkte, brauchte er kein Wort zu sagen. Sofort kam sie mit tränenfeuchten Augen auf ihn zu.
»Ihr habt ihn gefunden.«
»Der Name ist noch lesbar, obwohl die Buchstaben ziemlich verwittert sind. Er ist im selben Jahr wie Lizzy gestorben. Im selben Monat und am selben Tag.«
Hand in Hand mit Avery trat jetzt auch Owen hinzu, legte einen Arm um Justine, gefolgt von Beckett, Clare und den verblüffend ruhigen Jungen sowie Willy B., der der leise schluchzenden Carolee den Rücken
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