Fliedernächte: Roman (German Edition)
Städtchen in Maryland zu entscheiden. Obwohl sie seinerzeit noch mit Philadelphia, wo sie aufgewachsen war, oder einer anderen Großstadt liebäugelte. Von null auf hundert? Eher von null auf hundertfünfzig, dachte sie. Hope kam zugute, dass sie sich seit jeher mühelos den Gegebenheiten anpassen konnte.
Gemächlich schlenderte sie über den Balkon, prüfte, ob die Hängepflanzen in den Ampeln genügend Wasser hatten, und rückte einen der Bistrostühle zurecht. »Ich liebe jeden Winkel dieses Hauses«, murmelte sie leise vor sich hin.
Im selben Moment ging lautlos die Balkontür des Elizabeth-und-Darcy-Zimmers auf, und der süße Duft von Geißblatt hüllte sie ein.
Offenkundig gab es außer ihr noch jemanden, der keine Ruhe fand. Aber schliefen Geister überhaupt jemals? Lizzy würde es ihr kaum verraten, dachte Hope resigniert.
Der Geist, den Beckett Montgomery auf diesen Namen getauft hatte, weil er sich bevorzugt in dem einer Elizabeth gewidmeten Zimmer aufhielt, ignorierte Hope nach Kräften, seit sie in das Hotel eingezogen war. Bei anderen verhielt Lizzy sich weniger zurückhaltend.
Lächelnd nippte Hope an ihrem Wein.
»Was für eine wunderbare Nacht. Ich hab mir gerade überlegt, wie viel in meinem Leben sich verändert hat und dass ich bei genauerer Betrachtung wirklich froh darüber bin«, sagte sie scheinbar zu sich selbst, hoffte indes auf eine Reaktion Lizzys.
Inzwischen wussten sie nach ausgiebigen Recherchen, dass es sich vermutlich um ein junges Mädchen namens Eliza Ford handelte, das in diesem Haus gestorben war, aus New York stammte und weitläufig mit Hope verwandt war.
Und mit Familienmitgliedern sollte man stets höflich und nett umgehen.
»Wir haben ein frisch verheiratetes junges Paar im W&B . Die beiden machen einen so glücklichen Eindruck – sie haben ihr ganzes Leben noch vor sich. Das Paar in N&N dagegen ist bereits sehr lange verheiratet. Sie feiern gerade den achtundfünfzigsten Geburtstag der Frau. Sie sind glücklich, weil sie wissen, dass sie schon so viele Jahre gut und zufrieden zusammenleben. Sie kommen einem vor, als sei ihre Beziehung sehr gefestigt und sehr berechenbar. Trotzdem möchte ich, dass auch für diese beiden der Aufenthalt in unserem Haus ein besonderes Erlebnis wird.«
Obwohl es weiter still blieb, spürte Hope ganz deutlich, dass sie nicht alleine war. Und merkte außerdem, dass Lizzy sich ihr plötzlich innerlich zuwandte, ihre Zurückhaltung aufgab. Ihr kam es mit einem Mal vor, als stünden hier zwei Freundinnen, die sich vor dem Zubettgehen noch unterhielten und versonnen auf die nächtlich dunkle Straße hinabblickten.
»Carolee kommt morgen ziemlich zeitig, um das Frühstück für die Gäste zu machen. Ich selbst muss erst ab mittags arbeiten.« Sie nahm einen Schluck aus ihrem Glas. »Deshalb gönne ich mir ein Glas Wein, denke über mein verpfuschtes Leben nach und bedaure mich ein bisschen. Wenngleich ich, wie mir soeben klar wurde, keinen Grund dazu habe. Also bleibt es bei dem Wein.« Lächelnd hob sie erneut ihr Glas zum Mund und blieb noch eine Weile in der milden Nachtluft stehen, atmete den warmen Duft des Geißblatts ein, bevor sie hinauf in den zweiten Stock stieg, um schlafen zu gehen.
Als Hope am nächsten Vormittag nach unten kam, duftete es nach frisch aufgebrühtem Kaffee, kross gebratenem Speck und, falls ihre Nase sie nicht täuschte, nach den wunderbaren Apfel-Zimt-Pfannkuchen, die nur Carolee so herrlich locker hinkriegte.
Als sie die Küche betrat, empfing Justine Montgomerys Schwester sie mit drohend erhobenem Zeigefinger: »Was machst denn du schon hier unten, junge Dame«, sagte sie in strengem Ton, doch sie lachte dabei, und ihre braunen Augen funkelten vergnügt.
»Hallo, Carolee. Es ist fast zehn.«
»Und dein freier Vormittag.«
»Deshalb hab ich ja bis acht geschlafen, ein bisschen Yoga gemacht und meine Wohnung aufgeräumt.« Sie nahm sich einen Becher Kaffee und schloss genießerisch ihre Augen, während sie den ersten Schluck trank. »Kannst du mir mal sagen, weshalb die erste Tasse Kaffee immer am besten schmeckt?«
»Ich wünschte, ich wüsste es. Jedenfalls schaffe ich es nicht, auf Tee oder was anderes umzusteigen. Meine Tochter ist im Augenblick auf dem Gesundheitstrip und gibt sich alle Mühe, mich zu einer gesunden Lebensweise zu bekehren und vor allem vom Kaffee abzubringen.«
»Wie grässlich.«
»Du sagst es. Außerdem redet Darla ständig von dem neuen Fitnessstudio und will mich mit Gewalt
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