Fliedernächte: Roman (German Edition)
rüberkommen soll.«
»Sie hat Gäste«, rief ihr Ryder in Erinnerung.
»Dauert doch bloß eine Minute. Ich kann immer noch nicht glauben, dass ihr das alles klammheimlich aufgebaut habt«, fuhr sie fort und klappte ihr Handy auf.
»Das war nicht gerade leicht«, gab Owen zu.
»Aber unglaublich süß. Hope sagt, dass sie gleich kommt. Los, lasst mich ein Foto von euch dreien vor der Theke machen.«
»Ich mach lieber eins von dir und Owen«, bot Ryder an.
»Erst eins von euch und dann meinetwegen eins von Owen und mir.«
Ryder und Beckett blieben vor dem Tresen stehen, während Owen sich wie ein Barkeeper dahinterstellte. Avery drückte auf den Auslöser.
»Und jetzt du, Rotschopf.« Ryder hob sie hoch und setzte sie auf der Umrandung ab. »Lehn dich nicht zurück, wenn du nicht runterfallen willst.«
»Keine Angst.« Sie beugte sich vor und stützte einen Ellenbogen auf Owens Schulter, der wieder vor den Tresen trat.
»Die Bilder stell ich sofort bei Facebook ein – schließlich sollen alle meine neue Theke bewundern.«
Sie streckte die Arme aus und umklammerte Owen zusätzlich mit den Beinen, als er sie herunterhob.
»Himmel, falls ihr zwei ein Zimmer braucht, geht einfach rüber.«
Ryder blickte in dem Moment zur Tür, als Hope auftauchte.
»Avery hätte mir gar nicht simsen müssen, denn ich wollte sowieso rüberkommen«, fing sie an. »Ich … Oh, ihr habt die Theke aufgestellt.«
»Ist sie nicht wunderschön?« Avery strich erneut mit der Hand über das Holz. »Und mein Verlobter und seine Brüder haben sie für mich gebaut.«
»Ja, sie ist einfach toll. Wie alles hier: die Farben, das Licht, der Boden …, einfach alles, Avery. Deine Gäste werden absolut begeistert sein.«
Sie trat in den Durchgang zwischen Bar und Restaurant. »Und der Servicebereich ist ebenfalls fertig. Ich konnte mir nicht wirklich vorstellen, wie das aussehen würde …«
»Was? Das hab ich ja noch gar nicht gesehen.« Avery stürzte begeistert los.
»Du hast ihr eine Riesenfreude gemacht«, sagte Hope zu Ryder.
»Trotzdem bist du sicherlich nicht wegen unserer Fortschritte hier dermaßen aufgedreht.«
»Merkt man mir die Aufregung an? In einem von Catherines Briefen an eine Cousine stand etwas, das uns vielleicht weiterhilft. Ein ellenlanger Brief voller Familientratsch, Anmerkungen zum Krieg und der Beschreibung eines Buches, das sie gelesen hat, ohne dass ihr Vater etwas davon wissen durfte. Und mittendrin wird ihre Schwester kurz erwähnt.«
»Und was steht da?«, fragte Owen.
»Dass sie sich Sorgen macht, weil Eliza den Mann nicht heiraten will, den der Vater für sie ausgesucht hat. Den Sohn eines Senators. Catherine schreibt, ihr Vater würde es bestimmt nicht dulden, dass Eliza sich seinem Befehl widersetzt. Und dann erwähnt sie noch, dass die Schwester sich heimlich mit einem der Steinmetze getroffen hat, die offenbar gerade eine neue Mauer um das Anwesen der Fords errichteten.«
»Ein Steinmetz«, überlegte Owen. »Der war eindeutig unter ihrem Stand. Einen solchen Schwiegersohn hätte ihr Vater nie akzeptiert.«
»Catherine erzählt der Cousine, sie dürfe gar nicht an die Folgen denken, falls der Vater dahinterkäme. Offenbar war Eliza wild entschlossen, gegen den Befehl des Vaters an diesem jungen Mann festzuhalten.«
»Hat sie erwähnt, wie er hieß?«, wollte Beckett wissen.
»Nein, zumindest konnte ich den Namen bislang nirgendwo entdecken. Aber bestimmt handelte es sich um Lizzys Billy. Sie war in ihn verliebt und bereit, allen Konventionen zu trotzen. Der Brief stammt vom Mai 1862, wurde also nicht einmal ein halbes Jahr vor Elizas Auftauchen hier geschrieben. Ob noch Unterlagen über die Handwerker existieren, die der Vater seinerzeit beschäftigte? Oder von Steinmetzen aus der Gegend?«
»Dass sie herkam, kann nur bedeuten, dass Billy sich ebenfalls in der Nähe aufhielt«, stimmte Avery der Freundin zu. »Entweder stammte er von hier oder war Soldat. Das ist jetzt eine echt heiße Spur.«
»So weit waren wir bisher noch nie. Langsam ergibt alles einen Sinn. Ihr Vater war ein liebloser, herrschsüchtiger Mensch, dem seine Frau und die Töchter klaglos zu gehorchen hatten. Und weil sie Billy nicht aufgeben wollte, ist sie weggelaufen. Offenbar wollte sie ihn in Boonsboro treffen, erkrankte jedoch plötzlich und starb. Wirklich traurig«, stellte Hope melancholisch fest.
»Von New York nach Maryland war es damals eine beschwerliche Reise«, fügte Beckett hinzu. »Noch dazu im Krieg. Sie
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