Flieh solange du kannst
mehr, dass er einen solchen Lärm machte oder dass Max jeden Moment aufwachen konnte. Sie hoffte nur noch, irgendjemand in der Nachbarschaft würde den Krach hören und ihr helfen.
Aber das sah eher unwahrscheinlich aus. Falls Preston sich noch in der Nähe des Motels aufhielt, wäre er doch längst hier. Und andere Menschen gab es im gesamten Neubaukomplex nicht.
Manuel brüllte wie am Spieß, und Emma hätte dieses grässliche Geschrei gern aus ihrem Bewusstsein verbannt, genau wie seine ekelhafte Hand, die noch immer zwischen Tür und Rahmen eingequetscht war und dort herumzappelte. Bei dem Anblick rebellierte ihr Magen.
Denk nicht darüber nach. Bleib stark … Lass ihn nicht rein … lass ihn nicht rein … bitte nicht …
Schließlich warf Manuel sich so heftig gegen die Tür, dass sie einen Spaltbreit aufging und er seine Hand herausziehen konnte. Dann knallte sie zu und Emma blockierte die Kette. Im gleichen Moment erkannte sie, dass Manuel dort draußen nicht einfach verschwinden würde. Er fluchte und brüllte die übelsten Beschimpfungen, die sie je gehört hatte.
“Du dreckige Nutte, du hast mir die Hand gebrochen! Das wirst du mir büßen. Ich bringe dich um! Du bist tot! Du bist schon so gut wie tot! Aber ich werde dich langsam sterben lassen. Und es wird mir richtig Spaß machen.”
Emma hastete zum Telefon. Das Motel sollte eigentlich erst am Tag der offiziellen Eröffnung einen Anschluss bekommen, aber vielleicht funktionierte es ja schon …
Kein Freizeichen. Und Manuel stand nicht mehr vor der Tür. Er ging zum Fenster. Sie sah seinen Schatten durch die Gardinen. Einen Moment fummelte er am Schloss herum. Zuerst dachte sie, er wolle es aufstemmen, aber dann hörte sie, wie Glas splitterte. Und jetzt stieg er tatsächlich ein.
Emma hob den Baseballschläger und rannte in Max’ Zimmer. Sie würde ihn verteidigen, koste es, was es wolle. Aber der Junge war inzwischen von dem Lärm aufgewacht. Beinahe wäre sie über ihn gefallen, als er ihr im Flur in den Weg trat.
“Mommy?”, fragte er verunsichert.
Schon wollte sie Max hochheben und mit ihm zur Tür rennen, nach draußen und dann zum Auto. Aber Max war zu schwer, so weit könnte sie ihn gar nicht tragen, und Manuel war zu nahe, um das Risiko einzugehen. Er würde ihr den Weg abschneiden, noch bevor sie den Parkplatz erreicht hatte.
Das Badezimmer! Im Badezimmer gab es keine Fenster. Dort konnten sie sich verbarrikadieren und darauf hoffen, dass die Handwerker bald zur Arbeit kämen. Und wenn Manuel es schaffte, die Tür aufzubrechen, würde sie den Baseball-Schläger benutzen. Ihr blieb keine andere Wahl.
“Komm schnell, Max!”, rief sie und versuchte ihn ins Schlafzimmer zu schieben. Aber Manuel war schon durchs Fenster gestiegen.
“Beeil dich!” Das Badezimmer schien meilenweit entfernt. Emma konnte kaum noch atmen. Sie kam nur langsam voran und hatte das Gefühl, in Treibsand zu versinken …
“Ist das ein Räuber?”, fragte Max völlig verwirrt und verängstigt.
Aber sie war viel zu sehr damit beschäftigt, ihn in Richtung Badezimmer zu drängen, um zu antworten.
Nur noch drei Schritte vom Badezimmer entfernt, hörte sie seine Schritte direkt hinter sich. Laut fluchend kam Manuel näher. Offenbar hatte er sich beim Zerschlagen der Fensterscheibe geschnitten. Aber die Verletzung konnte ihn nicht bremsen, so wütend war er. Jetzt spürte Emma seinen heißen Atem im Nacken. Und dann packte er sie an den Haaren und zerrte sie mit brutaler Gewalt zurück. Ein grauenhafter Schmerz durchzuckte sie, und sie stieß einen lauten Schmerzensschrei aus.
Vincents Haus war zwei Stockwerke hoch und aus Holz und Stein erbaut. Das weitläufige Gebäude lag am Ufer eines kleinen Flusses, mit einer großen Glasfront zum Wasser. Ein kleines Wäldchen am Rand des Grundstücks bot das ideale Versteck, um zu beobachten, was sich im Garten und hinter der großen Scheibe im Inneren des Hauses tat. Doch leider war es noch dunkel und dementsprechend wenig gab es zu sehen.
Im Schutz der Bäume schaltete Preston die Taschenlampe aus, die er auf dem Weg durch das Wäldchen benutzt hatte. Nun stand er am Zaun, der den Garten umfasste und klopfte vorsichtig gegen die hölzernen Bretter. Er hörte nichts. Trotzdem warf er einen Hamburger über den Zaun – für den Fall, dass Vincent sich einen Wachhund angeschafft hatte. Mit einem Zähne fletschenden Ungetüm wollte er es jetzt nicht zu tun bekommen. Aber tatsächlich rechnete er nicht damit, denn
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