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Fliehe weit und schnell

Fliehe weit und schnell

Titel: Fliehe weit und schnell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fred Vargas
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lief Adamsberg langsamer. Zwanzig Schritte später hörte er einen Zusammenprall, ein dumpfes Geräusch und schließlich einen Schmerzensschrei. In der Ferne lief niemand mehr.
    »Retancourt?« rief er.
    »Lassen Sie sich Zeit«, antwortete die tiefe Stimme der Frau. »Er ist gut verkeilt.«
    Zwei Minuten später sah Adamsberg Oberleutnant Retancourt, die bequem auf der Brust des Flüchtigen saß und ihm den Oberkörper plattdrückte. Der junge Mann konnte kaum atmen und wand sich in alle Richtungen, in dem Versuch, das Gewicht, das wie eine Bombe auf ihn gefallen war, loszuwerden. Retancourt hatte sich nicht die Mühe gemacht, ihre Pistole zu ziehen.
    »Sie rennen schnell, Oberleutnant. Ich hätte nicht auf sie gewettet.«
    »Weil ich einen dicken Hintern habe?«
    »Nein«, log Adamsberg.
    »Da haben Sie unrecht. Das bremst mich.«
    »Aber gar nicht so sehr.«
    »Sagen wir, ich habe viel Energie«, antwortete Retancourt. »Und die verwandle ich, in was ich will.«
    »Zum Beispiel?«
    »Im Moment verwandle ich sie zum Beispiel in Masse.«
    »Haben Sie eine Taschenlampe? Meine ist naß geworden.«
    Retancourt hielt ihm ihre Taschenlampe hin, und Adamsberg leuchtete seinem Gefangenen ins Gesicht. Dann legte er ihm Handschellen an und befestigte einen der Ringe am Handgelenk von Retancourt. Das war so gut wie ein Baum.
    »Junger Nachfahre der Journots«, sagte er. »Hier auf dem Quai de Jemmapes endet der Rachefeldzug.«
    Der Mann warf ihm einen haßerfüllten, fassungslosen Blick zu.
    »Sie verwechseln mich«, erklärte er und verzog das Gesicht. »Der Alte wollte mich angreifen, ich habe mich verteidigt.«
    »Ich war direkt hinter dir. Du hast ihm deine Faust ins Gesicht gestoßen.«
    »Weil er eine Knarre gezückt hat! Er hat gesagt: ›Sind Sie es?‹, und gleichzeitig hat er eine Knarre gezückt! Da habe ich ihn geschlagen. Ich weiß nicht, was der Typ von mir wollte! Bitte, könnten Sie der guten Frau nicht sagen, daß sie zur Seite rücken soll? Ich ersticke.«
    »Setzen Sie sich auf seine Beine, Retancourt.« Adamsberg durchsuchte ihn nach seinen Papieren. In der Innentasche des Blousons entdeckte er eine Brieftasche und leerte ihren Inhalt auf dem Boden aus, um ihn im Schein der Taschenlampe zu untersuchen.
    »Lassen Sie mich los!« rief der Mann. »Er hat mich angegriffen!«
    »Sei still. Jetzt reicht's.«
    »Das ist eine Verwechslung! Ich kenne keinen Journot!«
    Stirnrunzelnd betrachtete Adamsberg den Personalausweis. »Heißt du auch nicht Heller-Deville?« fragte er überrascht.
    »Nein! Sie sehen doch selbst, daß es eine Verwechslung ist! Der Kerl hat mich angegriffen!«
    »Helfen Sie ihm hoch, Retancourt«, sagte Adamsberg. »Und dann führen Sie ihn zum Wagen.«
    Adamsberg richtete sich auf, die Kleidung von dem dreckigen Wasser durchnäßt, und ging zu dem besorgt wartenden Estalère zurück. Der junge Mann hieß Antoine Hurfin, geboren in Vétigny im Departement Loiret-Cher. Nur ein Freund von Marie-Belle? Der von dem Alten angegriffen wurde?
    Estalère schien den Körper des alten Mannes, den er sitzend an sich lehnte und an der Schulter festhielt, ins Leben zurückgeholt zu haben.
    »Estalère«, fragte Adamsberg, als er näher kam. »Warum sind Sie nicht gerannt, als ich Sie dazu aufgefordert habe?«
    »Entschuldigung, Kommissar, ich habe Ihre Aufforderung nicht befolgt. Aber Retancourt rennt dreimal schneller als ich. Der Typ war schon außer Reichweite, ich dachte, sie sei unsere einzige Chance.«
    »Komisch, daß ihre Eltern sie Violette genannt haben.«
    »Wissen Sie, Kommissar, ein Baby ist nicht dick, man kann ja nicht ahnen, daß es sich in einen multifunktionalen Sturmpanzer verwandeln wird. Aber sie ist eine sehr sanfte Frau«, fügte er sofort hinzu, um sich zu verbessern. »Sehr lieb.«
    »Tatsächlich?«
    »Man muß sie natürlich kennen.«
    »Wie geht es ihm?«
    »Er atmet, aber er hatte schon Wasser in den Bronchien. Er ist noch sehr mitgenommen und erschöpft, vielleicht das Herz. Ich habe den Krankenwagen gerufen, war das richtig so?«
    Adamsberg kniete nieder und richtete die Taschenlampe auf das Gesicht des Mannes, das an Estalères Schulter ruhte.
    »Scheiße, Decambrais.«
    Adamsberg faßte sein Kinn und bewegte es behutsam hin und her.
    »Decambrais, ich bin's, Adamsberg. Machen Sie die Augen auf, mein Lieber.«
    Decambrais schien der Aufforderung unter großer Anstrengung nachzukommen.
    »Es war nicht Damas«, sagte er schwach. »Die Kohle.«
    Neben ihnen bremste der

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