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Fliehe weit und schnell

Fliehe weit und schnell

Titel: Fliehe weit und schnell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fred Vargas
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geschwächt, ein anderer Teil war entschlossen, den Pestbereiter zur Strecke zu bringen, aus wie vielen Elementen er auch bestehen mochte.
    Er sah an der Fassade hinauf. Ein Haussmannsches Gebäude aus hochwertigen Quadersteinen mit skulpturenverzierten Baikonen. Die Wohnung zog sich über alle sechs Fenster der Etage. Das große Vermögen der Familie Heller-Deville, ein sehr großes Vermögen. Adamsberg fragte sich, wieso Damas, wenn er denn überhaupt arbeiten mußte, nicht ein Luxus-Geschäft aufgemacht hatte anstelle dieses düsteren, vollgestopften Roll-Rider.
    Während er noch unschlüssig im Dunkeln wartete, sah er, wie die Toreinfahrt geöffnet wurde. Marie-Belle kam am Arm eines sehr kleinen Mannes heraus und ging ein paar Schritte mit ihm auf dem verlassenen Bürgersteig. Sie redete aufgeregt und ungeduldig auf ihn ein. Ihr Liebhaber, dachte Adamsberg. Ein Streit unter Liebenden, wegen Damas. Vorsichtig näherte er sich. Er konnte sie im Licht der Straßenlaternen deutlich erkennen, zwei schmale blonde Köpfe. Der Mann wandte sich um, er schien Marie-Belle zu antworten, Adamsberg sah ihn nun von vorn. Ein ziemlich hübsches Gesicht, ein bißchen langweilig, ohne Brauen, aber zart. Marie-Belle drückte kräftig seinen Arm, dann küßte sie ihn auf beide Wangen, bevor sie wieder ins Haus ging.
    Adamsberg beobachtete, wie sich die Tür des Gebäudes hinter ihr schloß und der junge Mann sich auf dem Bürgersteig entfernte. Nein, nicht ihr Liebhaber. Einen Liebhaber küßt man nicht auf die Wangen und nicht so flüchtig. Also jemand anderes, ein Freund. Adamsberg sah der Silhouette des jungen Mannes nach, dann überquerte er die Straße, um zu Marie-Belle hinaufzugehen. Sie war nicht krank. Sie war verabredet. Weiß der Teufel mit wem.
    Mit ihrem Bruder.
    Adamsberg blieb wie angewurzelt stehen, die Hand an der Haustür. Ihr Bruder. Ihr jüngerer Bruder. Dieselben blonden Haare, dieselben schmalen Augenbrauen, dasselbe verkniffene Lächeln. Marie-Belle in weich, in blaß. Der kleine Bruder aus Romorantin, der solche Angst vor Paris hatte. Der aber in Paris war. In dieser Sekunde wurde Adamsberg bewußt, daß er nicht ein einziges Telefonat mit Romorantin, im Departement Loiret-Cher, auf den Listen von Damas entdeckt hatte. Dabei konnte man doch annehmen, daß sie ihn regelmäßig anrief. Der Kleine war nicht sehr helle, der Kleine wartete auf ihre Anrufe.
    Aber der Kleine war in Paris. Der dritte Nachkomme Journot.
    Adamsberg rannte die Rue de la Convention hinunter. Sie war lang, und er sah den jungen Heller-Deville von weitem. Als er sich ihm bis auf dreißig Meter genähert hatte, ging er langsamer. Der junge Mann blickte häufig suchend die Straße entlang, als sehe er sich nach einem Taxi um. Adamsberg drückte sich in einen Torbogen, um einen Wagen zu rufen. Dann steckte er das Handy in die Jackentasche, zog es sofort wieder hervor und sah es an. Als er in das tote Auge des Apparats blickte, begriff er, daß Camille nicht anrufen würde. Nicht in fünf Jahren, nicht in zehn Jahren, vielleicht nie. Gut, dann eben nicht, egal. Er schob den Gedanken beiseite und nahm die Verfolgung von Heller-Deville wieder auf.
    Heller-Deville junior, der zweite Mann, derjenige, der jetzt, da der Ältere und Mané verhaftet waren, das Pestwerk vollenden würde. Und weder Damas noch Clémentine zweifelten auch nur eine Sekunde daran, daß sie abgelöst werden würden. Die Macht der Familiensaga wirkte weiter. Bei den Nachkommen Journot wußte man zusammenzuhalten und duldete keinen Makel. Sie waren Herren und Meister, keine Märtyrer. Und die Schmach wurde durch das Blut der Pest abgewaschen. Gerade eben hatte Marie-Belle den Stab an den Benjamin der Journots weitergereicht. Damas hatte fünf umgebracht, der dort würde drei töten.
    Adamsberg durfte ihn um keinen Preis verlieren oder verschrecken. Die Verfolgung wurde noch dadurch erschwert, daß der junge Mann sich unaufhörlich zur Straße umdrehte, was auch Adamsberg tat, in der Sorge, ein Taxi auftauchen zu sehen und es nicht aufhalten zu können, ohne sich bemerkbar zu machen. Dann sah er einen Wagen, der sich langsam mit Abblendlicht näherte, einen beigefarbenen Wagen, den er sofort als ein Fahrzeug der Brigade erkannte. Als er mit ihm auf gleicher Höhe war, gab Adamsberg dem Fahrer unauffällig und ohne sich umzudrehen ein Zeichen, langsamer zu fahren.
    Als der junge Heller-Deville vier Minuten später die Kreuzung Félix-Faure erreicht hatte, hob er den Arm, worauf

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