Fliehe weit und schnell
Krankenwagen, und zwei Männer mit einer Trage stiegen aus.
»Wo bringen Sie ihn hin?« fragte Adamsberg.
»Ins Hôpital Saint-Louis«, antwortete einer der Sanitäter, die den alten Mann jetzt übernahmen.
Adamsberg sah zu, wie sie Decambrais auf die Trage legten und ihn zum Wagen brachten. Er zog sein Telefon aus der Tasche und schüttelte den Kopf.
»Mein Handy ist ertrunken«, sagte er zu Estalère. »Geben Sie mir Ihres.«
Adamsberg wurde bewußt, daß Camille ihn, selbst wenn sie wollte, nicht mehr anrufen konnte. Handy ertrunken. Aber das hatte keinerlei Bedeutung, da Camille ihn nicht anrufen wollte. Sehr gut. Ruf nicht mehr an. Und geh, Camille, geh.
Adamsberg wählte die Nummer des Hauses Decambrais und hatte Eva am Apparat, die offenbar noch nicht schlafen gegangen war.
»Eva, geben Sie mir Lizbeth, es ist dringend.«
»Lizbeth ist im Cabaret«, antwortete Eva barsch. »Sie singt.«
»Dann geben Sie mir die Nummer vom Cabaret.«
»Wenn Lizbeth auf der Bühne steht, darf man sie nicht stören.«
»Das ist ein Befehl, Eva.«
Eine Minute lang wartete Adamsberg, eine Minute, in der er sich fragte, ob er nicht allmählich doch ein Bulle wurde. Er verstand sehr gut, daß Eva das Bedürfnis hatte, die gesamte Welt zu bestrafen, aber dafür war jetzt schlicht nicht der Moment.
Er brauchte zehn Minuten, bis er Lizbeth erreichte.
»Ich wollte gerade gehen, Kommissar. Wenn Sie anrufen, um mir mitzuteilen, daß Sie Damas freilassen, höre ich Ihnen zu. Ansonsten bemühen Sie sich vergeblich.«
»Ich rufe an, um Ihnen mitzuteilen, daß Decambrais überfallen wurde. Er wird gerade ins Hòpital Saint-Louis gebracht. Nein, Lizbeth, er wird schon wieder, glaube ich. Nein, von einem jungen Kerl. Ich weiß es nicht, wir werden ihn befragen. Seien Sie so nett, und packen Sie ihm eine Tasche, vergessen Sie nicht, ein oder zwei Bücher dazuzulegen, und gehen Sie zu ihm. Er wird Sie brauchen.«
»Das ist Ihre Schuld. Warum haben Sie ihn dort hinbestellt?«
»Wohin, Lizbeth?«
»Als Sie ihn angerufen haben. Haben Sie bei der Polizei nicht genug Leute? Decambrais ist kein Reservist.«
»Ich habe ihn nicht angerufen, Lizbeth.«
»Es war ein Kollege von Ihnen«, versicherte Lizbeth. »Er hat in Ihrem Namen angerufen. Ich bin doch nicht verrückt, ich habe die Nachricht mit dem Treffpunkt selbst übermittelt.«
»Am Quai de Jemmapes?«
»Gegenüber von Hausnummer 57, um halb zwölf.«
Adamsberg schüttelte in der Dunkelheit den Kopf.
»Lizbeth, Decambrais soll sich nicht aus seinem Zimmer rühren. Unter keinem Vorwand, wer immer auch anruft.«
»Das waren gar nicht Sie, wie?«
»Nein, Lizbeth. Bleiben Sie bei ihm. Ich schicke Ihnen einen Beamten zur Verstärkung.«
Adamsberg legte auf und rief in der Brigade an.
»Brigadier Gardon«, meldete sich eine Stimme.
»Gardon, schicken Sie einen Mann ins Hôpital Saint-Louis zur Bewachung des Zimmers von Hervé Ducouèdic. Und zwei Mann als Ablösung in die Rue de la Convention, zur Wohnung von Marie-Belle. Nein, so wie bisher, sie sollen sich darauf beschränken, vor dem Gebäude zu stehen. Wenn sie morgen früh das Haus verläßt, soll man sie zu mir bringen.«
»Gewahrsam, Kommissar?«
»Nein, Zeugenaussage. Geht es der alten Dame gut?«
»Sie hat sich eine Weile durch die Gitter ihrer Zelle mit ihrem Enkel unterhalten. Jetzt schläft sie.«
»Worüber unterhalten, Gardon?«
»Um die Wahrheit zu sagen: Sie hat gespielt. Sie haben Personenraten gespielt. Dieses Charakterspiel, wissen Sie. Was wäre er als Farbe? Was wäre er als Tier? Was wäre er als Geräusch? Und dann muß man die betreffende Person erraten. Nicht leicht.«
»Man kann wohl nicht gerade behaupten, daß ihr Schicksal sie irgendwie beunruhigt.«
»Noch nicht. Die alte Dame heitert eher die Brigade auf. Heller-Deville ist ein netter Typ, er hat seine Kekse mit uns geteilt. Normalerweise macht Mané sie mit Rahm, aber sie...«
»... bekommt keinen mehr, ich weiß, Gardon. Sie nimmt Sahne. Haben wir inzwischen die Ergebnisse von Clémentines Holzkohle?«
»Vor einer Stunde. Tut mir leid, negativ. Keine Spur von Apfelholz. Es ist Esche, Ulme und Robinie, unsortierte Ware aus dem Handel.«
»Scheiße.«
»Ich weiß, Kommissar.«
Adamsberg ging zum Auto zurück, seine klitschnasse Kleidung klebte ihm am Körper, er fröstelte leicht. Estalère hatte sich ans Steuer gesetzt, Retancourt saß hinten, mit Handschellen an den Gefangenen gekettet. Er beugte sich durch die Tür.
»Estalère,
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