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Fliehganzleis

Fliehganzleis

Titel: Fliehganzleis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frederike Schmöe
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Nachfolgethema zu haben. Ich wusste, wie die Medien tickten, schließlich hatte ich einen großen Teil meines Arbeitslebens dort investiert. Den guten Geistern sei Dank, dass diese Zeit vorbei war. Obwohl ich vor allem für die Printmedien gearbeitet hatte, war mir der ganze Betrieb wie eine gigantische Seifenblase vorgekommen. Seine Protagonisten befanden sich ständig in Hetze nach neuen, luftgefüllten Versprechungen. Sogar der Reisejournalismus, der eine Weile meine Heimat gewesen war, agierte nach dem Motto, dass Nachrichten schnell verderbliche Waren darstellten, die unverzüglich unter die Konsumenten gebracht werden mussten. Zur Not zu Schleuderpreisen. Ich schaltete den Fernseher aus, als mein Handy klingelte.
    »Nero Keller. Wie geht es Ihnen?«
    »Geht so. Ich hoffe, der Angreifer kommt nicht zurück und räumt die einzige Zeugin aus dem Weg.«
    »Ich dachte, Sie wollten in eine Pension … «
    »Pustekuchen. Alles belegt. Ihre Kollegin hier meinte, es läge an den Weinfesten.«
    »Du liebe Zeit!«
    Wir schwiegen, bis der Druck zu groß wurde. Ich sagte: »Diese Nacht komme ich schon durch. Bis morgen«, und legte auf.
    Eine Weile blieb ich im Dunkeln sitzen. Dann stürzte ich durch das Erdgeschoss, schloss die Haustür ab und kurbelte die alten, verzogenen Rollläden herunter. Im Gang ließ ich das Licht brennen. Ich ging in mein Zimmer, duschte, fönte mein Haar, setzte mich aufs Bett und lauschte den Geräuschen des Schlosses.

9
    Mein Zuhause war ein nicht besonders schicker Bungalow in den Hügeln südwestlich von München, ohne Nachbarn. Wenn ich von meinen beiden Haustieren, den Graugänsen Waterloo und Austerlitz, einmal absah. Dort verbrachte ich beinahe jede Nacht alleine. Ich wusste mich zu beschäftigen. Sah fern, tuschte Haikus auf japanische Papierbogen, kümmerte mich um eine der tausend Minibaustellen rund um meinen Besitz, hörte Musik und gönnte mir ein Glas Rotwein. Oder ich schrieb.
    Im Schloss Rothenstayn saß ich unschlüssig auf dem Bett. Mein superflaches Notebook lag aufgeklappt vor mir auf der Decke. Ein schneeweißes Word-Dokument glänzte auf dem Bildschirm.
    Ich wusste nicht, was tun.
    Mit Larissas Geschichte beginnen?
    Das Schloss lebte. Dielen knackten, undefinierbare Geräusche füllten meine Ohren. Der Furcht keine Nahrung geben, Kea, dachte ich und nahm das Notebook auf den Schoß. Daheim schrieb ich nie im Bett. Aber hier konnte ich eine Ausnahme machen. Oder sollte ich lieber im Speiseraum vor dem Kamin sitzen und ein paar Seiten schreiben? Würde ich überhaupt noch die Autobiografie der Gräfin verfassen?
    »Geh von der günstigsten Annahme aus«, befahl ich mir. »Sie überlebt und wird wieder gesund.«
    Meine eigene Stimme mutete mir fremd an. Schon wieder kamen mir die Tränen. Nach dem Anschlag auf dem Sinai war ich dem Tod so nahe gewesen, dass ich nun jedes Mal, wenn ich mit dem Sterben anderer konfrontiert wurde, einknickte.
    Ich tippte ›Larissa Gräfin Rothenstayn‹ und speicherte das Dokument in einem neuen Ordner. Besser, ich schrieb drei Seiten. Immerhin hatte die Gräfin mir schon 50 Prozent des Honorars als Vorschuss überwiesen. Wie es üblich war.
    Menschen, die professionell schrieben, so wie ich, durften nicht auf Intuition oder gute Gefühle warten, um mit der Arbeit zu beginnen. Hauptberufliche Autoren brauchten einfach einen Anfang, mit oder ohne Muse. Sie mussten etwas zu Papier bringen, ob es nun gut oder katastrophal war. Später konnte man alles noch ändern und verbessern. Wer nicht anfing, hatte nichts zu korrigieren. Normalerweise half mir eine Tasse starker, schwarzer Kaffee oder ein Glas Wein dabei, mich aufzuraffen und loszulegen. Aber nun verschwammen die wenigen Buchstaben vor meinen tränenblinden Augen.
    Ich klappte das Notebook zu, hörte, wie es sich dezent in den Standby-Modus schaltete, und legte mich hin.
    Schlafen konnte ich nicht. Das Schloss wisperte mir seine Geschichten ins Ohr. Als ich neben der schwer verletzten Gräfin stand, hatte ich Zweige knacken hören. Einen Menschen, der weglief. Hatte ich Frau Gelbach davon erzählt? Ich wusste es nicht mehr.
    Die Nacht fraß mich mit ihren Reißzähnen. Gegen eins plante ich, meine wichtigsten Sachen zusammenzupacken, zu meinem Alfa zu laufen und einfach in die Nacht hinauszufahren, auf eine Autobahn, irgendwohin. Jeder Ort schien mir einladender als das leere Schloss, in dem niemand atmete außer mir selbst.
    Die Verzweiflung kam lautlos. Mein Herz, meine Lungen, mein Magen

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