Fliehganzleis
Raumes ein Zentrum zu geben.«
»Ich schätze, Larissa macht sich nichts aus Nippes.«
Martha Gelbach schob mich aus dem Zimmer.
»Wir haben außerdem einen 100-Euro-Schein auf dem Boden gefunden. Halb unter der Anrichte. Als sei er … von selbst dort hingeflattert.«
»Ich wollte vorhin ein Zimmer im Dorfhotel mieten«, erzählte ich, »aber es ist alles belegt.«
»In der Gegend finden zurzeit viele Weinfeste statt.«
»Gibt es ein Problem, wenn ich im Schloss bleibe?«
»Ich wüsste nicht. Wenn Sie schlafen können … «
Eine Nacht hatte ich alleine zu überstehen. Dann kam Nero. Ich konnte Larissa nicht fragen, aber wie ich sie einschätzte, würde sie nichts gegen die Anwesenheit eines Mannes in ihren Mauern haben. Unerwartet erschien mir die Aussicht romantisch, mit Nero übers Wochenende im Schloss zu wohnen.
»Haben Sie sonst noch etwas gefunden?«, fragte ich. »Wer auch immer das war – er muss doch mehr hinterlassen haben als ein paar Schleifspuren!«
Martha Gelbach sah durch mich hindurch.
»Wir arbeiten dran.«
»Ist er gekommen, um zu töten?«
»Möglich.«
»Wenn er gekommen ist, um zu töten«, spann ich den Gedanken weiter, »warum ist er ausgerechnet gestern Abend aufgetaucht?«
»Das wüsste man gern«, sagte Martha Gelbach. »Ich habe mit der Cousine der Gräfin telefoniert. Milena Rothenstayn kommt in den nächsten Tagen. Sicher wird sie auch im Schloss wohnen wollen.«
So viel also zu meinem romantischen Wochenende mit Nero. Ich setzte mein Pokerface auf.
»Sie kennen Milena Rothenstayn nicht?«, fragte sie.
»Nein.«
»Schließen Sie gut ab heute Abend und lassen Sie niemanden herein. Meine Nummer haben Sie? Wenn Ihnen etwas einfällt, wenn etwas passiert … rufen Sie an.«
Sie verabschiedete sich und ging zu dem Audi mit dem Blaulicht. Wendete auf dem Kies und hupte kurz, als sie über die Auffahrt durch den Park davonfuhr.
8
Die Wolken hatten sich verzogen, und ich genoss ein paar Stunden im Garten. Mit einer Schüssel bewaffnet, streifte ich durch den Park. Der westliche Teil zum Bach hin war mit Plastikbändern abgesperrt, deshalb ging ich zum Birnbaum auf der Ostseite und sammelte dort reife Birnen ein. Von den Tomatensträuchern pflückte ich die weichen, roten Früchte. In der Küche überprüfte ich die Vorräte der Gräfin. Morgen früh würde ich zum Einkaufen fahren, schließlich wollte ich nicht schmarotzen und ihr die Konserven wegessen. Dann fiel mir ein, dass noch gar nicht sicher war, ob Larissa je wieder in ihrem Schloss leben würde. Sie könnte in einem lebenslangen Wachkoma gefangen sein, gelähmt bleiben oder vergessen haben, wer sie war. Mir kamen die Tränen. Ich stand in der Küche, meine Hände grün und gelb vom Saft der Tomatenpflanzen, und weinte. Doch weil meine Schluchzer in dem leeren Schloss mich ängstigten, riss ich mich rasch zusammen, wusch meine Hände und ging in den ersten Stock.
Als ich am vergangenen Sonntagabend angekommen war, hatte die Gräfin mir das ganze Anwesen gezeigt. Außer ihrem Schlaf- und Badezimmer, der Küche, dem Speiseraum und dem Grünen Salon, lag auch eines der Gästezimmer im Parterre. Dort wohnte ich im Augenblick. Im ersten Stock gab es mehrere Schlafzimmer. Eines davon ging zur Terrasse. Dort wollte ich Nero einquartieren. Das Bad lag auf demselben Korridor gegenüber. Wo Larissas Cousine schlafen würde, darüber machte ich mir keine Gedanken. Ich schuf lieber Tatsachen.
Das Zimmer meiner Wahl besaß blaue Tapeten und naturfarbene Möbel. Es wirkte skandinavisch, hell, freundlich und gefällig. Wie im ganzen Schloss gab es auch hier keine Teppiche. Laut Gräfin waren die Teppiche, die sie bei ihrer Ankunft im Schloss vorgefunden hatte, die reinsten Milbennester gewesen. Sie hatte sich nicht mit Reinigungskosten belastet, sondern einfach alle weggeworfen, die Parkettböden abgeschliffen und geölt. Ich zog die Überdecke vom Bett und machte mich auf die Suche nach Bettwäsche.
Eine halbe Stunde später hatte ich alles vorbereitet, sogar Staub gewischt. Ich entwickelte allmählich solide Qualitäten als Hausfrau. Es war kurz vor acht. Draußen wurde es dämmrig.
Im Speiseraum schaltete ich den Fernseher an. Obwohl Larissa mehr als genug Möglichkeiten hatte, es sich gemütlich zu machen, verbrachte sie die meiste Zeit hier am Kamin, in ihrem giftgrünen Sessel. Die Tagesschau brachte die Krise in Georgien als Aufmacher. Die Pressewelt war glücklich, nach dem Ende der Olympiade in China ein
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