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Fliehkräfte (German Edition)

Fliehkräfte (German Edition)

Titel: Fliehkräfte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Thome
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weil seine Eltern die Restaurants verkauft und ihm seinen Erbteil ausbezahlt haben. Als Zahnarzt könnte er zwar auch von seiner Arbeit reich werden, aber er hat zu viele Patienten, denen er den halben Preis berechnet. Hartmut weiß das erst seit kurzem von Fernanda. João ist zu sehr auf die Wahrung seines Rufes bedacht, als dass er solche Mildtätigkeiten publik machen würde.
    »Noch was«, sagt Hartmut und folgt seinem Schwager durch die Wohnungstür nach draußen. »Kann ich dir eine komische Frage stellen?«
    »Nur wenn sie wirklich komisch ist.«
    »Hast du irgendwann mal eine Kiste mit Filmen an Maria geschickt? DVDs. Sachen, die du magst und von denen du gedacht hast, sie könnten ihr auch gefallen?«
    »Das ist eine komische Frage«, sagt João, ohne eine Miene zu verziehen.
    »Hab ich mir gedacht.«
    Einen Moment lang schauen sie einander an. Aus dem Aufzugschacht kommen undefinierbare Geräusche. Es ist ein eleganter, mit hellem Marmor ausgelegter Flur. Vier weiße, mit Großbuchstaben gekennzeichnete Türen, und ein schmaler Durchgang zur Feuertreppe. João hält seinen Helm in den Händen wie eine Bowlingkugel.
    »Wie auch immer«, sagt er und wendet sich zum Gehen. »Genießt den Tag.«
    »Wir sehen uns heute Abend.«
    »Wehe, ihr verbummelten Deutschen lasst mich warten.«
    Hartmut schließt die Tür und geht zurück ins Wohnzimmer. Philippa hat den Tisch zurück in die Raummitte geschoben und blickt ihm fragend entgegen. Hinter ihr rieselt es weißgrau über den Bildschirm.
    »Habt ihr die Tür gefunden?«
    Hartmut muss ein paar Mal schlucken, bevor er sicher sein kann, optimistisch und unternehmungslustig zu klingen.
    »Ich dachte, wir gehen heute Nachmittag rauf zur Maurenmauer. Oder nehmen die Tram 28, wie früher. Oder worauf du sonst Lust hast.«
    »Ich bleib hier«, sagt Philippa und rollt ein Kabel über die Finger. »Ich will mit Avó Lu telefonieren.«
    »Du siehst sie morgen.«
    »Sie ist alleine in Rapa, und sie macht sich Sorgen.«
    »Okay.«
    »Geh allein zu deiner Maurenmauer. Es wird dir guttun.«
    Er bleibt im Zimmer stehen und nickt. In Philippas Gesicht erkennt er Marias sanfte Augen und seine eigene Entschlossenheit, sich nicht unterkriegen zu lassen. Gestern auf dem Parkplatz kam es ihm vor, als hätte ihn sein eigenes Spiegelbild angebrüllt.
    »Als du gesagt hast, dass es dir egal ist, wenn ich das Haus in Bonn verkaufe – war das ernst gemeint oder hast du’s nur so gesagt?«
    »Wahrscheinlich ist es ungerecht, aber nicht mehr zu ändern. Bonn ist für mich der Ort, wo ich nicht ich selbst war. Wenn du das Haus verkaufen willst, verkauf es.«
    »Verstehe. Hamburg also.«
    »Oder Santiago. Die bauen dort was Neues auf. Ernährungswissenschaften, Biologie, Lebensmittelchemie, alles auf einem Campus. Meine Bewerbung läuft noch, aber es sieht gut aus.«
    »Wir besprechen so was nicht mehr vorher, oder?«
    Die Frage bringt sie dazu, ihre Aufräumarbeiten zu unterbrechen.
    »Irgendwann zieht ihr sowieso nach Portugal, habt ihr immer gesagt. Dann leben wir eben alle auf der iberischen Halbinsel.«
    »Nachbarn, quasi.« Wenn er noch fünf bis sechs Stunden so stehenbleibt, wird sie ihn irgendwann umarmen müssen. In der Zwischenzeit kann er sich damit abfinden, dass es keine Fahrräder mehr zu reparieren oder Spinnen hinterm Bett zu fangen gibt. Im Kleiderschrank wohnen keine Gespenster, und wenn doch, dann verscheucht Gabriela sie. Trotzdem unternimmt er einen letzten Versuch: »Den ganzen Nachmittag in der Wohnung? Bei dem Wetter?«
    Philippa steht vor ihm und umarmt ihn zwar nicht, aber legt ihm eine Hand auf die Schulter. Nickt ihm aufmunternd zu, so wie er es früher getan hat, wenn ihr in der Schule eine Klausur bevorstand. Auch das ist eine Erfahrung, die zum Altern gehört, die allmähliche Umkehrung der Rollen. Im Übrigen unterzieht sie ihn keinem Test und will ihm auch nichts Bestimmtes zu verstehen geben. Es ist einfach so, wie es fortan sein wird. Normalität.
    »Grüß mir die Mauren«, sagt sie. »Und creme dich ein, bevor du gehst.«
    »Grüß du deine Avó Lu. Hast du vor, es ihr zu sagen?«
    »Nein. Sie sind beide zu alt, sie würden es nicht verstehen. Aber das ist der einzige Kompromiss, den ich mache. Alle anderen werden es entweder akzeptieren, oder ...« Statt den Satz zu beenden, sieht sie ihn an.
    »Verstehe«, sagt er und dreht sich zur Tür. »Wir sehen uns heute Abend.«
    Trotz allem, denkt er, Lissabon ist ein Traum. Als es für Philippa noch ein

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