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Fliehkräfte (German Edition)

Fliehkräfte (German Edition)

Titel: Fliehkräfte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Thome
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Melonenscheiben, Lachs und eingelegtem Gemüse. Den Salat dazu haben sie gemeinsam in der Küche zubereitet und über ihre früheren Kochversuche in Walters Haus gelacht. Während sie Schulter an Schulter Tomaten schnitten und an ihren Weingläsern nippten, war es so, wie er sich den Besuch vorgestellt hatte: Geschichten von früher, Orte, Namen. Wie die Bar hieß, die sie immer aufsuchten, wenn die Kochversuche gescheitert waren. Palmer’s Bar, Palmer’s Café oder einfach nur Palmer’s? Jetzt sitzt Sandrine mit verschränkten Armen auf ihrem Platz und schaut ihn fragend an.
    »Soll ich noch einen Wein aufmachen oder ... Willst du Kaffee, einen Tee?«
    »Einen Rat könnte ich gebrauchen.«
    »Von mir?«
    »Deine Cousine würde empfehlen: weiterleben wie bisher. Mein Fall liegt aber anders.« Tatsächlich hat seine plötzliche Entscheidungsfreude schon vorgestern Abend einen ersten Dämpfer erlitten. Auf den Wert des Hauses wollte sich Herr Meier nicht festlegen. Die Kellerwände seien ein Unsicherheitsfaktor, auf die müsste er bei Tageslicht einen genaueren Blick werfen, sagte er, als sie nach einem Rundgang durchs Haus wieder in der Küche standen. Das Dach scheine solide, aber neue Besitzer würden wohl bald an ein Auswechseln der Ziegel denken. Für den Zustand der Wasserleitungen lege er seine Hand nicht ins Feuer und so weiter. Der spontan berufene Gutachter nahm seine Aufgabe überaus ernst. Das Entscheidende beim Verkauf einer Immobilie sei ohnehin das Grundstück. Nur Laien klammerten sich an den Mietpreisspiegel, der Experte schaue auf den Bodenrichtwert. Hier oben auf dem Venusberg betrage er über vierhundert Euro. Wenn Hartmut ihm sage, wie groß das Grundstück sei, werde er ihm den Marktwert ausrechnen. Sofort, aber wohlgemerkt ohne Garantie, dass ein Käufer den Preis auch zahlen wolle.
    Hartmut leert sein Wasserglas in einem Zug und schenkt sich gleich noch einmal ein.
    »Ich hab den ganzen Tag nicht genug Wasser getrunken«, sagt er. »Willst du auch noch was?«
    Sandrine schüttelt den Kopf.
    »Du hast gar nicht gesagt, was du den ganzen Tag gemacht hast. Was hast du dir angesehen?«
    »Heute Morgen bin ich einmal um die Oper und durch dieses Kaufhaus gelaufen. Danach saß ich in meinem Hotelzimmer und hab eine Doktorarbeit gelesen. Über den Weltgeist in China. Mehr wusste ich nicht mit mir anzufangen, alleine in Paris.«
    »Was macht der Weltgeist in China?«
    »Wenn ich den Autor richtig verstehe, sorgt er dafür, dass die Moderne Einzug hält. Wie er das schafft, bleibt sein Geheimnis. Sprachlich ist die Arbeit ein Alptraum.«
    Sandrines Miene verrät nicht, ob sie sich für seine Antwort interessiert. Je später der Abend, desto kleiner scheint die Schnittmenge zu werden zwischen seinen und ihren Gedanken. Ein langsames Auseinanderdriften, mit dem Hartmut sich nicht abfinden will.
    »Der Verfasser ist Chinese«, sagt er, »und hat sechs Jahre an der Arbeit gesessen. Vor zwei Tagen hab ich mich mit ihm unterhalten und festgestellt, dass ich wenig über ihn weiß oder wissen will. Einerseits beschwere ich mich, dass die begabten Leute nicht zu mir kommen, andererseits hab ich mir zugutegehalten, dass ich mich um die kümmere, die meine Hilfe brauchen. In Wirklichkeit kümmere ich mich nicht, sondern schleuse sie durch. Obwohl ich mir vorgenommen hatte, zu meinen Studenten zu sein, wie Stan Hurwitz zu mir war.«
    Sandrine lächelt und nickt.
    »Hab mich schon gefragt, wann du endlich auf ihn zu sprechen kommst. Reverend Hightower und seine geheimen Studien. Dass du dich an jemanden hängst, der Nixon wählt – zwei Mal! –, konnte ich damals schwer akzeptieren. Nur als Nachtrag, weil ich vorher gesagt habe, ich hätte nichts an dir ändernwollen.« Den Spitznamen hatte sie seinem Doktorvater nicht wegen der Körpergröße, sondern in Anspielung auf den Priester aus Light in August verpasst, durch dessen Kopf die Kavallerie des Bürgerkriegs zog; so wie durch Stans Kopf die Infanterie des Zweiten Weltkriegs. Jetzt beugt sie sich nach vorne, als wäre es an der Zeit, das Geplauder sein zu lassen.
    »Tu es, Hartmut! Verkauf das Haus, wechsel den Job und zieh nach Berlin, bevor die Einsamkeit dich aus der Bahn wirft. Du bist kurz davor.«
    »Das ist dein Rat?«
    »Bei unserem letzten Treffen hast du damit kokettiert, in der Midlife-Crisis zu stecken, aber du warst nicht halb so verunsichert wie jetzt.«
    »Wenn du es sagst. Ich weiß nicht mehr, was ich damals gefühlt habe.«
    »Versteck dich

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