Flirtverdacht Roman
gedauert, bis ich mich damit abfinden konnte. Erst vor etwa einem Jahr hatte ich es geschafft, ihm zu verzeihen. Das bedeutet allerdings nicht, dass wir jetzt auf einmal ein Herz und eine Seele sind und uns unsere intimsten Gedanken und Gefühle anvertrauen. Das tun wir nämlich nicht. Wir vertrauen uns im Grunde eigentlich gar nichts an. Wir gehen zusammen essen, unterhalten uns höflich, umarmen und verabschieden uns. Das ist alles. Aber das ist immerhin schon deutlich mehr als vor zwei Jahren. Man könnte sagen, wir arbeiteten an unserer Beziehung.
Doch jetzt, da mein Vater Jamie zum ersten Mal sehen und ich zum ersten Mal meine neue Stiefmutter treffen würde und noch dazu verkündet werden sollte, dass ich heiraten wollte, stand eines fest: Diese »in Arbeit befindliche Beziehung« gewann rasant an Fahrt.
Das Restaurant, in dem wir verabredet waren, hieß Wilshire, nach der Straße, an der es lag. Den Namen fand ich unglaublich einfallslos, aber ich hatte nicht die Energie, weiter darüber nachzudenken, weil ich zu sehr mit dem bevorstehenden Abendessen beschäftigt war, dem ich dummerweise zugestimmt hatte.
Ich kam zehn Minuten zu früh am Restaurant an. Auf der ganzen Herfahrt hatte ich eine Meditations-CD gehört, die ich mir vorher in einem überteuerten Alternativladen auf der Montana Avenue besorgt hatte, in der Hoffnung, die sanften, beruhigenden Klänge von Schilf und Ozeanrauschen würden auf mich einwirken und mir helfen, diesen Abend heil zu überstehen. Ich kann nämlich gut darauf verzichten, von Rettungssanitätern aus Restaurants befördert zu werden.
»Hunter, ein Tisch für vier?«, bestätigte die Empfangsdame, nachdem ich meinen Namen genannt hatte.
Ich nickte höflich, obwohl ich erst einmal verkraften musste, was sie da gerade gesagt hatte. Ein Tisch für vier . Nicht für zwei … sondern vier . Heute waren mein Vater und ich nicht allein. Heute würden wir zu viert sein. Weil Jamie kam, und sie auch. Die dritte Frau. Die, die dreieinhalb Jahre nach der Scheidung den Platz meiner Mutter eingenommen hatte. Bei dem Ruf, den mein Vater in Bezug auf Beziehungen hatte, wäre ich allerdings jede Wette eingegangen, dass diese Frau bereits lange zuvor an die Stelle meiner Mutter getreten war.
Die Empfangsdame führte mich zum Tisch, und ich bestellte ein Glas Chardonnay und versuchte, die Speisekarte durchzusehen. Leider war ich so nervös, dass ich mir kein einziges der Hauptgerichte merken konnte, von denen ich las.
Meine Mutter war die zweite Frau meines Vaters gewesen. Und ihre Vorgängerin hatte er ebenfalls betrogen. Offenbar hatte mein Vater Schwierigkeiten, sich zu binden. Nein, so ist das eigentlich nicht. Er bindet sich nur zu gerne. Schließlich ist er bereits dreimal zum Altar geschritten. Anscheinend hat er nur ein Problem damit, diese Bindungen länger aufrechtzuerhalten.
Eines konnte ich dabei nicht nachvollziehen: Was brachte eine Frau dazu, so jemanden überhaupt zu heiraten? Sie musste doch wissen, was ihr blühte. Jane Seymour, die dritte Frau von Heinrich VIII., wusste ganz genau , was mit ihren beiden Vorgängerinnen geschehen war. Die erste vegetierte seit der Scheidung einsam vor sich hin, bis sie schließlich starb, und die andere wurde enthauptet. Dennoch war Jane nur zu gerne bereit, die nächste Mrs Heinrich VIII. zu werden. Und was ist aus ihr geworden? Ein Jahr später starb sie am sogenannten Kindbettfieber. Die Ehe hatte von Anfang an unter einem schlechten Stern gestanden.
Deshalb konnte ich mir nicht erklären, was diese Frau sich bloß dabei gedacht hatte. Glaubte sie wirklich, sie sei anders? Etwas Besonderes? Besäße irgendwelche Zauberkräfte, mit denen sie meinen Vater länger als nur ein paar Minuten fesseln konnte? Ich liebe meinen Dad. Wirklich. Es hat zwar lange gedauert, bis ich mir das eingestehen konnte, aber es stimmt. Das ändert jedoch nichts an der Tatsache, dass er ist, wie er ist. Ich habe gelernt, ihn trotz seiner unverkennbaren Fehler zu akzeptieren. Doch ob ich seine neue Frau trotz der ihren akzeptieren konnte, da war ich mir nicht so sicher.
Als Jamie anrief, um mir zu sagen, dass er ungefähr eine Viertelstunde später kommen würde, war ich ein wenig erleichtert. Die Vorstellung, dass meine erste Begegnung mit dieser Frau unter dem aufmerksamen, analytischen Blick meines Verlobten/Psychiaters stattfinden sollte, hatte mich noch nervöser gemacht. Besonders nach allem, was in letzter Zeit zwischen uns vorgefallen war. Um nichts in
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