Florian auf Geisterreise
auf eiskalte Weise umzubringen.
Wie die bisherigen Ermittlungen ergaben, hat sich der junge Mann das Vertrauen der gehbehinderten Frau seit langem systematisch erschlichen. Er machte Besorgungen für sie, fuhr sie in ihrem Wagen spazieren und erledigte ihre Korrespondenz. Ohne Wissen seiner Tante hatte Klaus P. auch ein Testament aufgesetzt, das ihn als Alleinerben bestimmte, und es von ihr, zusammen mit Briefen und Schecks für Rechnungen, unbemerkt unterschreiben lassen.
Die alte Dame sang gern und begleitete sich selbst mit der Gitarre. Bei einem Klassentreffen wollte sie ihre alten Schulfreunde musikalisch erfreuen. Die Darbietung sollte, genau wie damals, auf einer bestimmten Bank auf einer bestimmten Lichtung im Grenzwald stattfinden. Davon wußte Klaus P. Auch Ort und Datum waren ihm bekannt. Zusammen mit Günther R. fuhr er auf seinem schweren Motorrad — einem Geschenk der Tante — zu der Lichtung. Dort sägten sie einen Baum an und sicherten ihn bei leichter Schrägneigung mit einem Seil. Die Fallrichtung war so berechnet, daß der Stamm nach dem Kappen des Seils die Bank treffen mußte. Die gehbehinderte alte Dame hätte sich nicht mehr in Sicherheit bringen können. Für die beiden Männer wäre es nicht schwierig gewesen, im dichten Wald mit dem Motorrad über die Grenze zu gelangen und später, mit der Zollstation als Alibi, wieder einzureisen.
„Na, was sagen denn die Neunmalklugen?“ Agathe war hereingekommen. Sie wußte als einzige über Florians Astralreise Bescheid.
„Der Text ist in allen Blättern so ziemlich der gleiche“, antwortete er. „Bis jetzt haben sie sich ganz gut zusammengereimt, was Tante Thekla vorausgesagt hat. Sogar mit der Flucht über die Grenze...“
„Das liegt doch nah, wo die so nah liegt!“ Agathe schaute durch die hintere Tür hinaus und flüsterte: „Zu Fridolin hab ich nichts gesagt. Damit wir uns da einig sind! Halte du dich auch zurück. Er müßte alles seinem Vorgesetzten melden, und Astralprojektion ist nichts für Kriminaler!“
„Klar“, flüsterte Florian. „Ganz großes Geheimnis.“
Er stellte sich vor, was der Fleischkloß sagen würde, wenn er ihm von seiner Rolle bei der Verhinderung des Mordes erzählte! Oskar würde ihn auf seinen Geisteszustand untersuchen lassen, und in der Schule stünde er als Angeber da, als Tagträumer, im besten Fall als verrückt. Nein! Offen reden konnte er, außer mit Tante Thekla, nur mit Agathe. Sie hatte ihr Tablett vollgeladen und die Küche wieder verlassen. Gespannt, wie die Neunmalklugen sich das Unerklärliche zu erklären versuchen würden, las er weiter.
Um den Fall des Baumes zu beschleunigen und die Richtung genau zu treffen, hatten die Täter ein weiteres Seil gespannt, mit dem sie die Fallrichtung gegebenenfalls korrigieren wollten. Aus noch ungeklärten Gründen brach jedoch an dem Mordbaum zuerst der obere Teil der Krone ab. Als kurz darauf der Stamm Bank und Gitarre zerschmetterte, hatte sich die alte Dame bereits in Sicherheit gebracht.
Ob die Tat durch Dritte vereitelt wurde, und durch wen, ist noch unklar. Vieles spricht jedoch dafür...
Hier lachte Florian laut auf. Jetzt wurde es sehr spannend:
Ungefähr eine Minute später stürzte nach Aussagen der Ausflügler ein weiterer Baum um, zerschlug das in einem Dickicht abgestellte Motorrad und brach Klaus P. ein Bein.
Wie der zuständige Förster bestätigte, war dieser Baum gesund und weist keine Säge-, Seil- oder sonstige Spuren von Gewaltanwendung auf. Er wurde auf unerklärliche Weise gekippt, mitsamt den Wurzeln aus dem Erdreich gerissen. Ein unterirdischer Sprengsatz scheidet nach Ansicht aller Experten aus.
Am Wurzelwerk konnten weder Verbrennungen noch andere explosionstypische Merkmale festgestellt werden. Die Polizei steht vor einem Rätsel. Die Ermittlungen laufen weiter.
Na, dann lauft mal schön! Mit zufriedenem Grinsen legte Florian die Zeitungen beiseite. Sie hatten auch über ihn berichtet. Sie wußten es nur nicht, würden es nie erfahren.
Am liebsten wäre er gleich zu Tante Thekla gegangen, doch sie war für heute „voll ausgebucht“, wie August das nannte. Erst zum Abendessen würde er sie sehen. Und wie es den Täter immer wieder zum Ort seiner Tat hinzieht, drängte es ihn in den Wald, um als kompletter Florian, vielleicht anläßlich eines Trainingslaufs, die Stellen zu besichtigen, auf die so viel Scharfsinn verschwendet wurde.
Eine Idee lenkte ihn jedoch in andere Richtung, durch die hintere
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