Fluch der Engel: Roman (German Edition)
wollte ich meinem menschlichen Freund ersparen – obwohl er mit Christopher ja schon einen kennengelernt hatte. Genau genommen eineinhalb. Ganz zählte ich als Novizin anscheinend ja noch nicht dazu.
»Soweit ich weiß, brauche ich inzwischen nur bei den Treffen des Zirkels eine Einladung, um die Basilika betreten zu dürfen«, erwiderte ich mit gespielter Gelassenheit, während ich dem Goldaugenengel meinen Arm entzog. Bei meinem ersten Besuch hatte er mir wegen unbefugten Betretens seine Klauen in die Oberarme gerammt. Die Erinnerung daran weckte ein fieses Prickeln an der Stelle, wo er mich gerade eben noch festgehalten hatte.
»Du nicht – er schon!«, donnerte Goldauge so laut, dass seine mächtige Stimme durch das Kirchenschiff hallte.
»Die wird er dann wohl haben«, bluffte ich. So schnell würde ich nicht aufgeben.
Mein Gegenüber schien dasselbe vorzuhaben. Breitbeinig baute er sich vor mir auf und verschränkte die Arme vor der Brust, so dass ich zwischen ihm und dem Beichtstuhl feststeckte. Wie Aron,wenn er überlegte, ob er mir eine Extrarunde Krafttraining aufbrummen oder in schallendes Gelächter ausbrechen sollte, runzelte der Engel seine Stirn. Immerhin hatte er weder seine Klauen noch sein Engelschwert ausgepackt. Vielleicht bestand ja noch Hoffnung, ungeschoren an dem ein Meter neunzig großen, schwarzgewandeten Racheengel vorbeizukommen.
»Und ausgerechnet du wurdest beauftragt, dieses bibbernde Elend in seine Welt zurückzubringen?«, fragte er misstrauisch.
Ich ließ mir meine Überraschung nicht anmerken. Mein Gegenüber wusste, dass Philippe kein Engel war? Spürte er, dass seine menschliche Seele in Gefahr schwebte? Oder hatte Sanctifer ihn darüber informiert, dass ich in der Basilika aufkreuzen würde? So oder so, ich hatte keine Wahl: Entweder er ließ mich und Philippe passieren, oder wir steckten beide in noch größeren Schwierigkeiten.
»Warum nicht? Oder möchtest lieber du ihn zurückschaffen?« Zwei Gegenfragen waren besser als eine falsche Antwort.
»Ich?! Ganz sicher nicht.« Die Goldsprenkel in den Augen des Racheengels wurden heller – offenbar hatte er meine Taktik gerade durchschaut.
Meine Muskeln spannten sich an, bereit, einem Angriff auszuweichen. Doch der Engel hielt sich zurück – noch.
»Aber du hast mir meine Frage nicht beantwortet«, erinnerte er mich daran, ihm den Grund zu verraten, warum Philippe bei mir war.
Kaum merklich bewegte sich Goldauge auf mich zu und engte meinen Bewegungsspielraum ein. Anstatt zurückzuweichen, kam ich ihm entgegen. Gut, dass er nicht wusste, wie viel Überwindung mich dieser Schritt gekostet hatte.
»Ich kenne ihn von früher«, sagte ich so ruhig wie möglich und hielt dem stechenden Blick des Racheengels stand.
»Dann zeig mir sein Berechtigungsband!«
Berechtigungsband? Was, verdammt noch mal, war ein Berechtigungsband ?!
»Seit wann übernehmen Racheengel die Funktion eines Portalwächters?«, fragte ich, um Zeit zum Nachdenken zu gewinnen. Meine Stimme klang fest genug, um Selbstsicherheit vorzutäuschen. Leider sah mein Gegenüber das anders.
»Immer dann, wenn die Gefahr besteht, dass eine Lüge im Raum schwebt.«
Inzwischen war sein Gesicht meinem so nah, dass ich sehen konnte, wie die goldenen Sprenkel in seinen bernsteinfarbenen Augen sich zusammenzogen.
»Du bist ganz schön mutig, kleiner Engel . Vielleicht lag Christopher doch nicht so falsch, ausgerechnet dich auszuwählen.«
Meine Standhaftigkeit knickte ein. Abgesehen davon, dass Goldauge mich mal wieder kleiner Engel nannte, mich zu einem Racheengel zu machen lag ganz und gar nicht in Christophers Absicht. Bedrückt wich ich seinem bohrenden Engelsblick aus.
»Also stimmt es, dass deine Erwählung ein, sagen wir, kleiner Unfall war.« Mein Gegenüber trat einen Schritt zurück und ließ mir Platz zum Atmen. »Dann ist es umso erstaunlicher, wie du die Prüfungen gemeistert hast.«
War das etwa ein Lob aus dem Mund dieses Racheengels? Überrascht sah ich auf. Meine Freude kam zu früh. Das Gold in seinen Augen weitete sich wieder aus.
»Wer hat dir den Menschen anvertraut? – Und denk erst nach, bevor du antwortest. Lügen können schmerzhaft enden.«
Ein Frösteln durchzog mich. Mein Gegenüber ließ das kalt. Dass ich mich vor ihm fürchtete, schien für ihn das Normalste überhaupt zu sein. Und was er als schmerzhaft bezeichnete, wenn klauendurchbohrte Arme seiner Meinung nach nur eine Warnung waren, wollte ich mir erst gar nicht ausmalen.
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