Fluch der Engel: Roman (German Edition)
herauszubringen, weil in mir gerade dunkle Rachegefühle auftauchten. Sollte Philippe meinetwegen sterben, wäre es mir egal, wie lange es nach meinem Besuch bei Sanctifer dauern würde, wieder aus meiner Schattengestalt zurückzufinden, falls ich die Beherrschung verlor.
Meine Klauen drängten hervor und aktivierten die Spangen, die sie zurückhielten. Ich ignorierte den Schmerz und hoffte, dass nicht gleich rote Schleier durch mein Gesichtsfeld flirrten. Sie erschienen immer dann, wenn ich meiner dämonischen Seite zu viel Macht einräumte.
Zwei große Hände packten meine Schultern und schüttelten mich.
»Nicht in der Basilika!«, dröhnte eine dunkle Stimme in meinem Kopf. »Wenn du deinem Freund helfen willst, bring ihn zurück und sorge dafür, dass er nicht erneut die Aufmerksamkeit eines Ratsmitglieds auf sich zieht.«
Ohne abzuwarten, bis ich wieder klar denken konnte, schulterte der großgewachsene Engel Philippe und bugsierte mich zu einer unscheinbaren Altarnische. Durch eine verborgene Tür brachte er uns in einen fensterlosen Raum – natürlich vergoldet – mit einem runden Taufstein in der Mitte.
Der dunkle Teil in mir beruhigte sich. Die leise Panik, die meinen Nacken entlangkribbelte, riet mir, dennoch wachsam zu bleiben. Vielleicht wollte der Engel Philippe und mich hier einsperren, um Christopher zu holen – oder Sanctifer? Nein, Sanctifer schied aus. Schließlich hatte Goldauge mir geraten, Philippe vor dem Rat zu schützen. Christopher dagegen schien durchaus denkbar. Vermutlichsollte ich mir für ihn und Aron endlich eine halbwegs vernünftige Erklärung einfallen lassen, damit ich nicht wieder unter Dauerbeobachtung gestellt wurde.
Mit derselben Leichtigkeit, wie er Philippe hochgehoben hatte, schob der Racheengel das steinerne Taufbecken beiseite. Ein rundes, dunkles Loch kam zum Vorschein, das sich in der Tiefe verlor. Lediglich ein leises Gluckern verriet, dass es im Wasser endete.
»Lass deinen Freund nicht los, während du durchs Portal rutschst, sonst landet nur er in seiner Welt – und allein wird er es in seinem Zustand wohl kaum ans Ufer schaffen. Am besten, du rufst einen Notarzt und verschwindest, bevor dir zu viele Fragen gestellt werden, wenn dein Ausflug unbemerkt bleiben soll.«
Der Plan hörte sich gut an. Meine Angst vor dem fremden Engel verblasste ein wenig – meine Skepsis nicht.
»Und wer sagt mir, dass das nicht eine w … eine Falle ist?« Zum Glück gelang es mir, das weitere rechtzeitig zu vernuscheln. Er musste nicht wissen, dass Sanctifer ein Auge auf mich geworfen hatte und ich nicht ganz so freiwillig hier war, wie ich behauptete.
»Kluger Engel«, lobte mich mein Gegenüber. »Aber in diesem Fall bleibt dir wohl nichts anderes übrig, als mir zu vertrauen. Vielleicht hilft es dir, zu wissen, dass nicht jedes Mitglied des Rats meine Zustimmung genießt.« Ob Goldauge damit Sanctifer oder einen anderen Engel meinte, ließ er offen. »Und? Bereit für den Sprung ins Ungewisse?«
Seine Bemerkung entlockte mir ein Zähneknirschen, was ihn zum Grinsen brachte. Ich nickte trotzdem und ließ mir helfen, Philippe vor mir auf die Kante zu setzen. Dass er sich willenlos fügte, verriet mir, wie wenig Philippe noch davon mitbekam, was um ihn herum passierte. Es wurde höchste Zeit, ihn in ein Krankenhaus zu schaffen.
»Viel Glück – und bis bald, kleiner Engel «, hörte ich den Racheengel noch mit beunruhigend dunkler Stimme rufen.
Sein Geruch begleitete mich auf unserer Rutschpartie. Honigwein, Oblate und Muskatnuss, wie ich jetzt deutlich unterscheidenkonnte – was für eine eigentümliche Mischung für einen Racheengel.
Nach dem fast senkrecht in die Tiefe stürzenden Anfang schraubte sich die Röhre deutlich flacher nach unten. Schwindelig wurde mir trotzdem. Gut, dass ich bereits saß, als ich die Grenze aus Engelsmagie durchbrach.
Zweimal innerhalb kürzester Zeit in kaltes Wasser zu klatschen fühlte sich grausam an. Und eine Pause zum Durchatmen bekam ich auch nicht. Beschleunigt durch die Schlitterfahrt rutschte mir Philippe aus den Armen und versank in der Tiefe. Das spärliche Licht, das durch eine vergitterte Öffnung fiel, durchdrang das trübe Wasser kaum tiefer als einen Meter.
Panisch vor Angst, ihn nicht wiederzufinden, tauchte ich Philippe hinterher. Ich musste ihn zu fassen bekommen, bevor ihn der Kanal verschluckte.
Wuschelige Fäden streiften meine Finger. Erkennen, was mich berührt hatte, konnte ich schon seit zwei Metern nicht
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