Fluch der Engel: Roman (German Edition)
als schwierig. Die Mutmachparolen wirkten nur langsam.
Erst als ich das Anlegeseil der Gondel zu fassen bekam, wieder wusste, wo oben und unten war, das Wasser zwar kalt, aber friedlich um mich herumschwappte und nirgends ein Anzeichen von etwas Lebendigem zu fühlen war, beruhigte ich mich allmählich wieder. Ein schwacher Lichtschimmer half mir, ruhig zu bleiben. Er fiel durch einen Türspalt und tauchte die davorliegende Anlegestelle in schummrig gelbes Licht.
Mit ein paar kräftigen Schwimmzügen zog ich die Gondel zu der Kaimauer, kletterte an Land und befestigte das Boot. Philippe ließ ich sicherheitshalber zurück. Schließlich wusste ich nicht, wo und bei wem ich gelandet war. Mir einen Hoffnungsschimmer zu schicken, der in die Hölle führte, traute ich Sanctifer allemal zu.
Hinter der Tür empfing mich funkelndes Gold. Geblendet schloss ich die Augen, bis mir einfiel, dass es nicht besonders schlau war, blind in die Arme eines Racheengels zu stolpern. Die mit goldenen Mosaiksteinen verzierten Wände und die Wendeltreppe konnten nirgendwo anders hinführen als in die Markuskirche.
Lautlos schlich ich die Stufen nach oben. Dass die Treppe in eine Art Beichtstuhl führte, kam mir äußerst gelegen, weil ich so unbemerkt die Basilika ausspionieren konnte. Am Ende meiner Prüfung war ich hier von sechs Racheengeln empfangen worden. Heute stand der schwarze Altar, auf dem sich das goldgelbe Licht der Wände widerspiegelte, einsam und verlassen unter der zentralen Kuppel.
Um sicherzugehen, dass ich wirklich allein war, blieb ich in meinem Versteck und wartete. Solange Philippe noch im Boot war, wollte ich weder auf Christopher noch auf einen anderen Engel treffen. Ganz ohne Hilfe würde es jedoch schwer werden, Philippe in seine Welt zurückzubringen. Denn im Gegensatz zu einem normalen Engel fehlte mir die Fähigkeit, Portale zu spüren, mit denen man die Welten wechseln konnte. Außerdem benötigte ich ein passendes Wächterband, um diesen Zugang zu öffnen – dazu brauchte ich Paul.
Paul und ich hatten den größten Teil der Engelprüfungen gemeinsam bestritten. Im Grunde verdankte ich es ihm und seinem Können, überhaupt bis zu meiner Racheengelprüfung gekommen zu sein. Auch er war Schüler im Schloss der Engel und würde, wie ich, dorthin zurückkehren. Ich, um mein Racheengeltraining fortzusetzen, und Paul, um seine Wächterengelausbildung zu beginnen. Philippe durch das Portal des Palazzos zu schmuggeln, wo Paul untergebracht war, würde eine Kleinigkeit für ihn werden – und das eine Weile geheim zu halten, hoffentlich auch.
Nachdem ich mich abgesichert hatte, dass die Markuskirche engelfrei war, schlich ich zu Philippe zurück. Er fror noch immer erbärmlich und hatte Mühe, sich auf den Beinen zu halten. Selbst das goldfunkelnde Licht schien ihm nicht besonders gut zu bekommen. Mit geschlossenen Augen ließ er sich von mir die schmale Wendeltreppe nach oben schieben, um dort völlig entkräftet in den Beichtstuhl zu sinken.
»Philippe«, flüsterte ich ihm ins Ohr. »Du kannst dich jetzt nicht ausruhen. Wir müssen weiter!« Entschlossen packte ich ihn unter den Schultern und zerrte ihn hoch. Obwohl Philippe eher zu den Schlaksigen gehörte, kostete es mich einiges an Kraft, bis er endlich wieder auf seinen Beinen stand. Ihn durch die Basilika bis zum Palazzo zu schleppen würde nicht leicht werden. Vielleicht sollte ich Philippe hierlassen und Paul bitten, mir zu helfen, ihn abzuholen.
Die Entscheidung wurde mir abgenommen. Noch bevor ich einen Blick durch das Holzgitter werfen konnte, schwang es auf. Eine riesige Pranke packte meinen Arm und hielt mich fest. Ich konnte Philippe gerade noch in den Beichtstuhl zurückdrücken, bevor ich aus meinem Versteck gerissen wurde.
»Sieh einer an. Gerade frisch geschlüpft und schon auf Abwegen?!«
Kapitel 3
Schlupflöcher
Z wei Augen mit goldfarben aufleuchtenden Sprenkeln hefteten sich auf mein Gesicht und suchten nach einer Erklärung. Entweder hielt er hier rund um die Uhr Wache, oder ich besaß ein untrügliches Gespür dafür, ausgerechnet ihn hier anzutreffen.
»Was ist?! Hat es dir die Sprache verschlagen? Oder soll ich lieber dein schwächelndes Anhängsel fragen?« Bevor der Engel mit den goldenen Augen und dem fremdartigen Gesicht, das mich an einen Mayagott denken ließ, einen weiteren Blick auf Philippe werfen konnte, versperrte ich ihm die Sicht. Philippe hatte bei Sanctifer genug durchgemacht. Ihm einen Racheengel vorzustellen,
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