Fluch der Leidenschaft
meinen Leuten geschehen, wenn Warbrick ganz Carrisford auf der Suche nach mir in Stücke schlägt?«
Er war vornübergebeugt, und ihr wurde klar, dass er bereits ein alter Mann war, der ebenso wie sie an ein geordnetes Leben gewöhnt war. Bei ihren Worten richtete er sich jedoch auf und legte Entschlossenheit in seine Stimme. »Was wird mit Euren Leuten geschehen, wenn Warbrick Euch zwingt, ihn zu heiraten, und dadurch Lord von Carrisford wird, Mylady? Sir Gilbert hat mich beauftragt, auf Euch aufzupassen, und das werde ich tun. Ihr dürft diesem Teufel nicht in die Hände fallen.«
Imogen presste die Hände auf das Gesicht. Vermutlich hatte er recht. Sie war die Lady von Carrisford und die Erbin der Burg. Sie war der Schlüssel zum Besitz beträchtlichen Reichtums und großer Macht, und sie musste zum Wohle all ihrer Untertanen handeln. Ein Führer, auch eine Frau, musste bereit sein, einige wenige zum Wohle der vielen zu opfern.
Doch das war schwer. Sie konnte nicht vergessen, wie ihre Zofe um Hilfe geschrien hatte …
»Janine«, stöhnte sie. »Hast du es gesehen …? Oh, Siward, hast du es gesehen?«
Wortlos schloss er sie in seine Arme, und sie erschauderte, unfähig, Tränen zu vergießen.
Nie zuvor hatte Imogen Gewalt erfahren müssen; heute wäre sie ihr beinahe zum Opfer gefallen.
Noch nie zuvor hatte sie den Akt zwischen Mann und Frau gesehen, doch nun hatte sich dieses Bild in ihre Gedanken eingebrannt, und die Begleitgeräusche hallten in ihrem Kopf wider.
Und eines Tages würde auch sie dies über sich ergehen lassen müssen …
Sie drängte diese Vorstellung mit aller Macht aus ihrem Bewusstsein, um nicht wahnsinnig zu werden. Nicht Warbrick. Zumindest nicht Warbrick. Vielleicht würde sie es ja ertragen, wenn sie wenigstens nicht ihm in die Hände fiel. Es konnten nicht alle Männer derart abscheulich sein.
Siwards Stimme unterbrach ihre panischen Gedanken. »Wir können hier nicht bleiben, Lady. Hier ist es nicht sicher. Wohin sollen wir Euch bringen?«
Imogen blickte schockiert auf. Sie hatte gedacht, ihre Leute hätten alles im Griff, doch nun erwarteten sie, von ihr geführt zu werden.
Sie hatte keine Ahnung, was sie tun sollten.
Bis vor zwei Tagen war sie die verhätschelte Tochter Bernards von Carrisford gewesen, des großen Lords von Gloucestershire, und ihre Tage eine geordnete Abfolge von Musizieren, Handarbeiten, Falkenjagd und der Lektüre der kostbaren Handschriften ihres Vaters.
Bis zum vergangenen Frühjahr schien festzustehen, dass ihre Zukunft weiter nach diesem Muster verlaufen sollte. Im Alter von zehn Jahren war sie mit Lord Gerald von Huntwich verlobt worden, einem angenehmen und fähigen Mann, der fünfzehn Jahre älter war als sie und mit dem sie sicher in Ruhe und Frieden hätte leben können.
Er hatte sie immer mit derselben freundlichen Nachsicht behandelt wie ihr Vater und war damit zufrieden gewesen, zu warten und sie erst dann zu sich zu nehmen, wenn sich ihre monatliche Blutung eingestellt hatte und sie zur Frau gereift war. Im April war es so weit gewesen, und die Hochzeit war auf den zwanzigsten Oktober angesetzt worden, Imogens siebzehnten Geburtstag.
Doch im Juni hatte Gerald verdorbenen Fisch gegessen und war daran gestorben.
Ihr Vater hatte Imogen die Nachricht voller Verlegenheit überbracht, weil er befürchtete, sie würde die Fassung verlieren, und weil er selbst sich über das Scheitern seiner Pläne ärgerte. Auch nahm ihn der Verlust des Freundes mit.
»Man sollte meinen, er wäre vernünftiger gewesen«, brummte er. »Nun gerät alles in Unordnung, und in diesen bewegten Zeiten werde ich kaum imstande sein, auf der Stelle einen neuen Ehemann für dich zu finden.«
Imogen behielt es für sich, dass sie angesichts des Todes ihres Gemahls in spe seltsamerweise nur wenig Bedauern empfand. »Gott erbarme sich seiner Seele«, sagte sie, dankbar für die Näharbeit, die ihre Hände und Augen beschäftigte. »Was wird nun geschehen?«
Lord Bernard lachte plötzlich auf und ließ sich in einen Sessel sinken. »Jeder auch nur einigermaßen geeignete Mann in England wird um dich herumscharwenzeln, Liebes.« Er wedelte mit dem Pergament in seiner Hand. »Manche können es kaum erwarten. Hier ist ein Schreiben von Lancaster mit der Nachricht, dass er nächste Woche vorbeikommen will.«
Imogen blickte abrupt auf. »Lancaster! Sein Sohn ist doch gewiss zu jung.«
»Ja, aber seine Frau starb letzte Weihnachten, falls du dich erinnerst. Er ist für sich
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