Fluch der Leidenschaft
selbst auf der Suche.« Ihr Vater musste den leisen Zweifel in ihrer Miene bemerkt haben. »Er ist nur ein oder zwei Jahre älter als Huntwich, Imogen, und ein mächtiger Mann. Er würde dir Sicherheit bieten.«
Imogen mochte den Grafen von Lancaster als Bekannten ihres Vaters – auch er war ein großer, einflussreicher Mann, der kräftig in Englands verwickelter Politik mitmischte. Als Gemahl konnte sie sich ihn jedoch nicht vorstellen. Er kleidete sich zu extravagant, seine Hände waren zu weich, und sie hielt ihn eher für schlau und durchtrieben denn wirklich klug. Ihr Vater hatte sie immer sehr behütet, doch sie wusste einen ehrlichen Ritter durchaus zu schätzen. Bernard von Carrisford war ein ehrlicher Gegner und konnte sich im Kampf nach wie vor behaupten.
Sie hatte in dieser Angelegenheit jedoch keine großen Bedenken, denn sie wusste, dass ihr Vater sie nicht zu einer Verbindung zwingen würde, die ihr widerstrebte.
»Habe ich schon viele Freier?«, fragte sie, denn der Gedanke, dass ihr der Hof gemacht würde, begann ihr zu gefallen. Mit zehn Jahren hatte sie sich für derlei Dinge noch kaum interessiert; jetzt aber war es ihr nicht unangenehm.
Lord Bernard trug ihr eine ganze Liste von Männern vor, die zweifellos alle versuchen würden, eine von Englands begehrtesten Erbinnen für sich oder einen ihrer Söhne zu gewinnen. »Aber ich treffe jetzt noch keine Entscheidung, Liebes. Ich bin mir nicht sicher, ob sich Henry Beauclerk auf dem Thron halten kann. Ich habe ihm die Treue geschworen und werde zu meinem Wort stehen, aber bei so manchem anderen kann ich das nicht so recht einschätzen. Wenn Henry zu Beginn des Herbstes noch immer König ist, werden wir sehen, welche Männer in England wirklich das Sagen haben.«
Es war inzwischen ein knappes Jahr her, seit der neue König – Henry I., genannt Beauclerk – den Thron bestiegen hatte, und sein älterer Bruder Robert, der Herzog der Normandie, focht seine Herrschaft noch immer an. Er stellte gerade eine Flotte zusammen, um wie sein Vater, Wilhelm der Eroberer, in England einzufallen.
Imogen schauderte. »Musst du dann in den Krieg ziehen, Vater?«
Er zuckte müde die Achseln. »Wir alle tun, was wir tun müssen, Tochter. Vergiss das nie. Noch kann ich dich zwar beschützen, aber zweifelsohne wird einmal die Zeit kommen, in der du Bitteres wirst durchstehen müssen, um unsere Ehre zu verteidigen, oder gar um zu überleben.« Er griff ihr zärtlich unter das Kinn. »Aber noch kannst du dich unbeschwert deines Lebens freuen. Die Mächtigen Englands werden deinetwegen alle in Samt und Seide hier antanzen, und solange ich sicher sein kann, dass du dir einen Ehrenmann aussuchst, hast du freie Wahl.«
Es war, wie ihr Vater es gesagt hatte. Eine ganze Zeit lang hatte Imogen das Vergnügen gehabt, von infrage kommenden Herren in Samt und Seide umschwärmt zu werden.
Dann, im Juli, hatte der Herzog der Normandie die Invasion Englands begonnen, und Lord Bernard war in den Krieg gezogen, um seinem König beizustehen. Das Werben und Freien war zum Stillstand gekommen. Doch schon Anfang August hatte der Herzog vor König Henry und seinen Anhängern klein beigegeben und sich wieder über den Kanal davongemacht.
Lord Bernard und seine Männer waren unbeschadet heimgekehrt, und Imogen war erneut von eifrig bemühten Freiern umgeben gewesen. Es machte ihr großen Spaß, und ihr Vater drängte sie nicht.
Was rückblickend betrachtet wohl ein Fehler gewesen war. Denn wenn Gerald am Leben geblieben oder Imogen mit einem anderen Mann verlobt worden wäre, dann hätte Warbrick wahrscheinlich keine derart brachiale Werbung gewagt.
Nun jedoch gab es nicht viel, was einen Mann davon hätte abhalten können, sie zu einer Eheschließung zu zwingen.
Für den Moment war sie dieser Falle entkommen. Bei dem Gedanken, dass ihr Schicksal in Warbricks Hand liegen könnte, erschauderte Imogen. Seine Brutalität wurde nur von der seines Bruders Belleme übertroffen. Dessen erste Gemahlin war eines gewaltsamen Todes gestorben, und seine zweite, Agnes von Ponthieu, war ihm, an Leib und Seele gebrochen, entflohen.
Imogen wusste, es war in der Tat verrückt gewesen, sich Warbrick ausliefern zu wollen. Warum hatte sie geglaubt, er werde erst die Eheschließung abwarten, bevor er irgendwelche Ansprüche geltend machte? Jeder skrupellose, gottlose Mann, dem sie in die Hände fiel, würde sie vergewaltigen und einsperren, bis die Eheformalitäten geregelt waren. Und eine derartige
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