Fluch der Leidenschaft
gesprochen, und Imogen war zu sehr mit ihren Freiern beschäftigt gewesen, um sich diesbezüglich Gedanken zu machen. Der alte Roger von Cleeve und sein Sohn waren zwei so unangenehme Leute gewesen, dass Carrisford nichts mit ihnen zu tun haben wollte.
»Die Einheimischen müssen doch eine Meinung über ihn haben«, meinte sie.
Siward zuckte die Achseln. »Es heißt, er ist ein junger Mann, der sich im Krieg und bei Turnieren bereits bewährt hat, und er steht dem König nahe.«
Also vielleicht ein Mann, der sich gegen Warbrick und Belleme behaupten konnte, aber was würde sie dafür zu ertragen haben? »Ich habe gehört, er soll sehr hart sein«, flüsterte sie.
»Ja«, räumte Siward ein. »Er hat Castle Cleeve fest in der Hand, das kann man wohl sagen.«
Das Bild von Warbricks Faust um Gilberts Kehle zuckte durch Imogens Gedanken, und bittere Galle stieg in ihrem Hals auf. Sie zwang sich, es zu ignorieren. »Du klingst fast so, als würdest du ihn gutheißen, Siward.«
»Es ist nicht an mir, jemanden gutzuheißen oder zu missbilligen, Lady.«
»Was ich meine«, sagte Imogen ungeduldig, »ist Folgendes: Glaubst du, dass FitzRoger ein geringeres Risiko darstellt als Warbrick? Du weißt, dass mein Vater mich immer sehr behütet hat. Mir fehlt es an Wissen.«
»Bei Warbrick gibt es kein Risiko«, erklärte Siward rundheraus. »Dass er ein Schurke ist, steht absolut fest. Bei FitzRoger hingegen heißt es, er sei ein harter Mann und ein guter Soldat. Und so einen braucht Ihr jetzt, Lady. Er wird Euch wahrscheinlich beistehen, denn zwischen Cleeve und Warbrick besteht seit langem Zwist. Außerdem ist er ein Mann des Königs, während Belleme und seine Familie König Henry ein Dorn im Auge sind. Ich halte FitzRoger für reich und stark und tapfer genug, um sich gegen Warbrick zu behaupten, sofern er sich dafür entscheidet, und vielleicht wird er sogar eines Tages Rache für das üben, was heute geschehen ist.«
Rache.
Sobald das Wort ausgesprochen war, wusste Imogen, dass sie sich Vergeltung wünschte, dass sie geradezu danach gierte. Ihr Zuhause war auf schlimmste Weise geplündert worden. Ihre Untertanen waren misshandelt und niedergemetzelt worden. Sie wollte ihre Burg zurück, ja, aber mehr noch wollte sie Warbrick für das, was er getan hatte, tot im Schmutz liegen sehen.
Um dies zu erreichen, würde ihr kein Preis zu hoch sein.
Sie setzte sich auf. »Dann ist es das Beste, ich gehe zu FitzRoger und bitte ihn um Hilfe«, sagte sie. »Also lass uns überlegen, wie ich sicher zu ihm gelangen kann.«
2
Am nächsten Tag gegen Sonnenuntergang humpelte ein älteres Ehepaar die schmutzige Straße entlang auf Castle Cleeve zu. Es war das Beste, sich ganz am Rand des Weges zu halten, denn auf der breiten Fahrspur war viel Verkehr, und jedes Pferd und jeder Karren wirbelte eine Wolke Staub auf. Die meisten der Reiter und Fahrzeuge, die zu der düsteren, auf einem Felsen thronenden Burg unterwegs waren oder von dort kamen, waren in kriegerischen Belangen unterwegs.
Der Mann hatte graue, schmutzige Haare, und sein Rücken beugte sich unter der Last eines enormen Bündels. Die Haarfarbe der Frau war nicht zu erkennen, denn sie trug ein schmuddeliges, weißes Kopftuch, doch so, wie sie aussah, hätte auch ihr Haar grau sein können. Dennoch konnte sie noch nicht das Alter ihres Mannes haben, denn sie war unverkennbar hochschwanger. Und auch sie beugte sich unter einem fast ebenso schweren Gewicht und bewegte sich schleppend wie ein altes Weib.
Imogen blickte auf, als die Burg in Sicht kam, und fühlte eine große Erleichterung. Selbst wenn der Teufel persönlich sie am Ende dieser Reise erwartete, wäre ihr das gleichgültig gewesen; sie konnte kaum mehr einen Schritt gehen. Hätte sie nicht den kräftigen Stock gehabt, den Siward für sie geschnitten hatte, sie hätte schon vor Stunden aufgegeben. Ihre Füße und Beine schmerzten höllisch, und ihr Rücken sehnte sich danach, sich endlich wieder aufrichten zu dürfen.
Die Verkleidung hatte sich jedoch als sinnvoll erwiesen, denn unterwegs waren sie auf Warbricks Männer gestoßen, die auf der Suche nach Imogen von Carrisford sämtliche Reisenden kontrollierten. Angesichts der genauen Inspektion war sie froh gewesen, dass Siward darauf bestanden hatte, bei ihrer Verstellung auch aufs kleinste Detail zu achten. Den Rest des Weges hatte sie sich einfach nur elend gefühlt.
Ihr Haar unter dem schmutzigen Tuch war voller Fett und Erde für den Fall, dass jemand nach
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