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Fluch der Unsterblichkeit

Fluch der Unsterblichkeit

Titel: Fluch der Unsterblichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roger Zelazny
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begegneten wir der Legende.
    Ich verabschiedete mich von Jason in Athen. Er segelte die Küste hinauf. Sehr vernünftig.
    Phil hatte darauf bestanden, den Fußmarsch mitzumachen, statt vorauszufliegen und uns weiter oben zu treffen. Vielleicht auch das irgendwie gut …
    Die Straße nach Volos verläuft durch Dickicht und Ödland. Man kommt an riesigen Blöcken vorbei, an dem einen oder anderen Häuflein von Hütten, an Mohnfeldern; die Straße überquert kleine Bäche, windet sich um Hügel herum, manchmal führt sie über Hügel hinweg, wird breiter und enger, ohne ersichtlichen Grund.
    Es war noch früh am Morgen. Der Himmel war wie ein blauer Spiegel, das Licht der Sonne schien von überallher zu kommen.
    Es war in einer Lichtung an der Straße nach Volos, daß ich einem halben Namensvetter begegnete.
    Der Ort war früher einmal ein Heiligtum gewesen, früher in den wirklich Alten Zeiten. Ich war in meiner Jugend oft hierhergekommen. Manchmal traf ich dann dort die Halb-Menschen oder die Nicht-Menschen, oder ich träumte gute Träume, oder ich fand alte Keramiken oder die Köpfe von Statuen und dergleichen, die ich in Lamia oder Athen verkaufen konnte.
    Es führt kein Pfad zu dieser Lichtung. Man muß eben wissen, wo sie liegt.
    Etwa eine halbe Meile von der Straße entfernt wandert man durch ein Wäldchen, das selbstzufrieden in seinem Gewirr aus Grün und Schatten und gelegentlich verstreuten Steinhaufen daliegt, dann geht es plötzlich einen Hang hinab, ein dichtes Gestrüpp versperrt den Weg, man dringt hindurch und entdeckt eine kahle Felswand. Wenn man in die Knie geht, sich dicht an dieser Wand hält und nach rechts abbiegt, gelangt man an eine Schneise, und dort empfiehlt es sich, innezuhalten, ehe man weiter vordringt.
    Die Schneise grenzt an einen kurzen steilen Hang, und unten liegt eine ovale Lichtung, etwa fünfzig Meter lang, zwanzig breit, das schmalere Ende des eiförmigen Platzes stößt an eine Krümmung im Fels. Dort liegt am äußersten Ende eine flache Höhle, die gewöhnlich leer ist. Ein paar halb im Boden versunkene, nahezu rechteckige. Steine stehen scheinbar zufällig herum. Wilder Wein wächst am Rand der Lichtung, in der Mitte steht ein riesiger uralter Baum, dessen Äste wie ein Regenschirm fast den ganzen Platz überspannen und auch tagsüber in einem Halbdunkel halten. Deshalb übersieht man diesen Platz meistens, selbst von der Schneise aus.
    Wir aber sahen in der Mitte einen Satyr hocken, der in der Nase bohrte.
    Ich sah George nach der Gnadenschußpistole greifen, die er bei sich trug. Ich packte ihn an der Schulter, blickte ihm in die Augen, schüttelte den Kopf. Er zuckte die Achseln, nickte, ließ die Waffe sinken.
    Ich zog die Hirtenflöte aus dem Gürtel, die ich mir von Jason hatte geben lassen. Ich bedeutete den andern, niederzuhocken und zu bleiben, wo sie waren. Ich machte ein paar Schritte weiter nach vorn und hob die Syrinx an die Lippen.
    Die ersten Töne kamen recht zögernd. Es war schon zu lange her, daß ich die Panflöte gespielt hatte.
    Die Ohren des Satyrs zuckten nach vorn, er blickte sich nach allen Seiten um. Er rannte los, mal in diese, mal in jene Richtung – wie ein aufgeschrecktes Eichhörnchen, das nicht weiß, auf welchen Baum es sich flüchten soll.
    Dann blieb er zitternd stehen, als ich eine alte Melodie fand und in die Luft nagelte.
    Ich spielte weiter, erinnerte mich immer deutlicher an die Flöte, an die Melodien, das Bittere und das Süße und das Trunkene, das ich in Wirklichkeit immer gekannt hatte. Alles kam zu mir zurück, während ich dastand und für den kleinen Kerl auf seinen zottigen Ziegenbeinen spielte: der Fingersatz, die Atemkontrolle, die kleinen Passagen, die Klangdornen, das, was nur eine Syrinx wirklich ausdrücken kann. In den Städten kann ich sie nicht spielen, aber plötzlich war ich wieder ich selbst und sah die Gesichter im Laubwerk und hörte den Klang ihrer Hufe.
    Ich bewegte mich auf ihn zu.
    Wie in einem Traum nahm ich wahr, daß ich mit dem Rücken zu einem Baum stand und daß sie mich umringten. Sie schaukelten von einem Huf auf den anderen, standen nie still, und ich spielte für sie, wie ich es so oft getan hatte, vor vielen Jahren, und ich wußte nicht, ob es wirklich die gleichen Wesen waren, die mir damals zugehört hatten – aber es war mir auch einerlei. Sie tänzelten um mich herum. Sie lachten mit weißen, weißen Zähnen, ihre Augen tanzten, und sie kreisten, stießen die Luft mit ihren Hörnern, warfen

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