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Fluch des Südens: Ein Fall für John Gowers (German Edition)

Fluch des Südens: Ein Fall für John Gowers (German Edition)

Titel: Fluch des Südens: Ein Fall für John Gowers (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Twardowski
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über Kurs und Fahrt des Schiffes das Steuer übergeben hatte. »Wir haben uns was überlegt, ich und die anderen.«
    »Ja?«, fragte der Investigator.
    »Wir haben uns überlegt  – Buuh!« Payne verscheuchte mit einer freundlichen Grimasse eines der Kinder, ein kleines Mädchen, das nahe genug herangekommen war, um womöglich zu verstehen, was er sagte.
    »Diese Affen haben doch keine Ahnung, wohin wir fahren«, fuhr er fort. »Ich meine, wohin wir tatsächlich fahren. Wir könnten es so einrichten, dass wir Palliser Bay bei Nacht passieren und das Schiff bei Baring Head auf den Strand setzen, ehe die überhaupt mitkriegen, was vorgeht. Mit ein bisschen Glück sind wir alle von Bord, bevor sie uns schnappen, und dann sollen sie mal sehen, wie sie da wieder wegkommen. Die Regierung braucht sie dann nur noch einzusammeln!«
    Das war ein guter Plan, um die Ausbrecher hinters Licht zu führen, und wenn die Sonne weiter hinter den niedrigen dichten Wolken versteckt bliebe, würde vielleicht wirklich niemand bemerken, dass die Rifleman nach Westen und auf Wellington zuhielt. Aber das kleine Mädchen, das kreischend vor dem Maat geflohen war, hatte sich inzwischen wieder umgedreht und lachte Gowers mit leuchtenden Augen ins Gesicht, während die übrigen Kinder ihn mit offenen Mündern anstarrten wie ein Meereswunder.
    »Recht so, wie’s geht, Mr. Payne«, erwiderte der Investigator trocken, und der Maat ging nach vorn, durchpflügte achselzuckend das Kindergewühl, um der Crew mitzuteilen, dass Gowers seinen Kurs halten würde.

114.
    Sie waren in die Flaute geraten, die dem Sturm und seinem Nachkommen, einem degenerierten Westwind, folgte. Die Sonne zeigte sich endlich wieder, wenn auch nur als ein trüber Fleck, eine Nuance heller als der graue Himmel. Die Frauen nutzten die Stille und Reglosigkeit der See unter ihren Füßen, um ihre Kleider, ihre Kinder und schließlich sich selbst zu waschen. Sie sangen, und alle freuten sich darauf, ihre Heimat nun bald wiederzusehen.
    Gowers wusste nicht, dass der Prophet genau das seit ihrer gelungenen Flucht befürchtet hatte: Innehalten, Nachdenken, individuelle Zukunftspläne. Die Whakarau waren keine homogene Gruppe im Sinne einer Familie, eines Clans, eines Stammes. Die dreihundert Menschen gehörten den unterschiedlichsten Völkern und Stämmen der Nordinsel an, und nur zwei Dinge hatten sie bisher zu einer Gemeinschaft gemacht  – die Gefangenschaft und das Ringatu.
    Te Kooti musste befürchten, dass seine Anhänger auf Aotearoa auseinanderlaufen würden, so groß ihr Respekt vor dem Propheten und seinen Visionen auch sein mochte. Sicher, sie hatten ihm und ihrer neuen Religion Treue geschworen, aber schloss diese Treue ein, dass sie bei ihm bleiben würden, wenn sie die Chance bekamen, in ihre alten Dörfer zurückzukehren?
    Er war ein vorausschauender Mann. Seine Macht beruhte auf seinem Einfluss auf Glauben und Denken dieser Menschen. Gingen die Menschen fort, waren sie seinem Einfluss nicht länger ausgesetzt, war auch seine Macht dahin. Aber nicht derlei persönliche Eitelkeiten beschäftigten ihn. Auch ihrer aller Sicherheit hing wesentlich davon ab, dass sie zusammenblieben. Ginge jeder wieder zu seinem Stamm, in sein Gebiet, seine alte Hütte, würde die Regierung der Pakeha sie rasch und leicht wieder einfangen können.
    Ein anderes Problem war, dass die Whakarau als sozusagen auf Chatham entstandene Gruppe logischerweise kein eigenes Stammesgebiet auf Aotearoa besaßen. Nur in ihrer relativ großen Zahl lag die Chance, sich irgendwann vielleicht eines zu erobern. Er musste sie zusammenhalten, er musste sie zusammenschweißen. Und was Menschen nach verwandtschaftlichen Beziehungen, einer gemeinsamen Kultur, einem gemeinsamen Glauben am stärksten zusammenschweißt, ist ein gemeinsam begangenes Verbrechen.
    Eingesperrt auf der fernen Insel, zusammengepfercht im Lager waren die Offenbarungen des Propheten nicht nur das Band zwischen ihnen gewesen, sondern auch die Richtschnur, an der sie ihr Handeln orientierten. Te Kooti hatte recht behalten, seine Vorhersagen waren eingetroffen, er war offensichtlich gesegnet. Niemand bezweifelte deshalb seine Worte, als er am Nachmittag dieses stillen Tages verkündete, er habe eine neue Botschaft, einen neuen Befehl erhalten. Gott verlange ein Opfer von ihnen, sonst würde kein Wind mehr wehen und das Schiff den Strand von Whareongaonga niemals erreichen. Zwar empfand niemand einen halben Tag Windstille als sonderlich

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