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Fluch des Südens: Ein Fall für John Gowers (German Edition)

Fluch des Südens: Ein Fall für John Gowers (German Edition)

Titel: Fluch des Südens: Ein Fall für John Gowers (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Twardowski
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noch immer nicht, warum dabei plötzlich von Jonah die Rede war. Dieser sonderbare Maoriführer schien die Bibel auswendig zu kennen: »Kommt, wir wollen losen, dass wir erfahren, um wessentwillen es uns so übel ergeht. Und als sie losten, traf’s Jonah.«
    Natürlich wusste Gowers um den alten Aberglauben der Seefahrer aller Zeiten; dass bisweilen ein einziger Schuldiger für all die unverständlichen Gefahren und unerwarteten Schwierigkeiten,
auf die ein Schiff nun einmal treffen konnte, verantwortlich gemacht und getötet wurde. Aber erst bei diesem Zitat wurde ihm klar, dass dieser Unsinn im Grunde vorbiblisch war, ein heidnisches Opferritual, das die christliche Seefahrt lediglich übernommen hatte. Wieso jedoch in diesem Augenblick die Rede davon war, ahnte er noch immer nicht. Sollte jemand über Bord geworfen werden? Aber wer? Und warum?
    Erst als Te Kooti unter Deck verschwunden war, erfuhr er von dem zu Tode erschrockenen Matrosen John Martin, dass das Ungeheuerliche bereits geschehen war und einen der Maori getroffen hatte. Der Investigator brauchte eine Weile, um seinen Abscheu zu unterdrücken, aber als ihn einer der Seeleute irgendwann nach dem genauen Kurs fragte, begab er sich wortlos unter Deck. Anstatt anzuklopfen, trat er mit der Stiefelspitze gegen die Tür der Kapitänskajüte und wartete auch nicht darauf, dass er hereingerufen würde, sondern stieß sie kurzerhand auf. Te Kooti lag schweißgebadet und vor Erschöpfung zitternd auf seiner Koje, und dieser Anblick nahm Gowers’ Zorn ein wenig von seiner Schärfe.
    »Ich arbeite nicht mehr für Sie«, sagte er dennoch, wandte sich abrupt wieder um und wollte hinausgehen.
    »Mr. Gowers«, antwortete erschreckend leise der Prophet. »Glauben Sie an Gott?«
    »Nein«, sagte Gowers hart, blieb dabei aber widerwillig stehen und drehte dem Mann schweigend den Rücken zu.
    »Ich war lange wie Sie, Mr. Gowers«, fuhr Te Kooti nach einer Weile fort. Seine Stimme schwankte jetzt zwischen Schwäche und Milde. »Selbstbewusst, stark und allein unter einem leeren Himmel. Aber dann hat sich etwas in mir verändert. Mir werden Dinge offenbart, die ich nicht immer verstehe und die ich nicht immer will.«
    »Sie haben eben einen Menschen ermordet!« Noch immer von Verachtung erfüllt, drehte sich Gowers zu dem selbst ernannten Propheten um.
    »Getötet, Mr. Gowers, getötet.« Te Kooti betonte diesen wesentlichen Unterschied, erhob sich auf den Ellenbogen und warf dem Investigator einen durchdringenden Blick zu. »Haben Sie nicht genau dasselbe im Sinn?!«
    »Das Gleiche, Sir, das Gleiche«, erwiderte nun Gowers, fragte sich aber in diesem Moment, ob der Unterschied wirklich so groß war, und fügte schließlich mehr für sich selbst hinzu: »Ich bestrafe einen Mörder.«
    Te Kooti sank auf sein Lager zurück.
    »Nun, vielleicht habe auch ich das getan: einen Schuldigen bestraft. Ich weiß es nicht, Mr. Gowers. Gott weiß es!« Er seufzte tief und sagte dann: »Der Mann war mein Onkel, Mr. Gowers. Ein Bruder meines Vaters. Blut von meinem Blut!« Aus den Augenwinkeln sah der Prophet, dass er die Selbstgewissheit des Investigators ein wenig erschüttert hatte.
    Gowers wusste natürlich nicht, dass der Zweifler Te Warihi der natürliche Feind jedes Propheten gewesen wäre, und ihm fiel in diesem Zusammenhang auch nicht die Binsenweisheit ein, die jeder Ermittler kannte: dass Morde in nahezu zwei Dritteln aller Fälle Beziehungstaten sind. Stattdessen ging er nach oben und gab die nötigen Ruderbefehle für den Kurs auf Whareongaonga.

115.
    John Lafflin war praktisch in diesen Sümpfen aufgewachsen. Sein Bruder Pierre, acht Jahre älter, hatte ihn nach Amerika gebracht, nachdem ihre Eltern in den Sklavenaufständen von 1791 in Port-au-Prince getötet worden waren. Noch immer hörte er in seinen schlechteren Träumen den Kriegsschrei der Aufständischen: »Toyé blan, toyé blan!« 8 , und bis weit in seine Mannesjahre hinein hatte er die Schwarzen für die blutigen Schrecken gehasst, in denen seine Kindheit untergegangen war.
    Obwohl die Brüder Laffitte gern von sich behaupteten, der kreolischen Oberschicht von Hispaniola, Saint Domingue oder Santo Domingo  – wie Haiti in seiner wechselvollen Geschichte genannt wurde  – zu entstammen, war ihr Vater lediglich ein wohlhabender Kaufmann gewesen. Sie hatten nicht nur ein gewisses Startkapital, sondern auch die entsprechenden Talente von ihm geerbt und machten in den Wirren der zahllosen Kriege, die die Insel

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