Fluch des Südens: Ein Fall für John Gowers (German Edition)
zwischen Spaniern, Franzosen, Engländern und diversen Sklavenkönigen hin und her warfen, gute Geschäfte mit allen Beteiligten. Ihre Rückzugsbasis war dabei die Gegend um New Orleans, waren die amerikanischen Cajuns und Kreolen, bei denen sie sich wechselweise als das eine oder das andere ausgaben.
Die Karibik jener Jahre war das El Dorado der Entwurzelten, und als kühne Männer, die eine solide Staatlichkeit nie kennengelernt hatten, brachen die Laffittes ohne schlechtes Gewissen alle Gesetze und machten ein Vermögen mit Schmuggelwaren und dem Handel mit allem und jedem. Lafflin schauderte bisweilen, wenn er an die Dinge dachte, die er getan hatte. Es war in einem brodelnden Kessel zerrissener Gesellschaften und Völker, gärender Nationen, ausgehöhlter Kolonien und ihrer völlig korrupten Mutterländer geschehen, sagte er sich dann. Aber er wusste, dass das nicht die ganze Wahrheit war.
Die zerfressenen Kolonialinstitutionen der untergegangenen Königreiche Frankreich und Spanien hatten seiner Abenteuerlust und seiner räuberischen Geschicklichkeit lediglich den nötigen Raum zur Entfaltung gegeben. Er hatte gestohlen, betrogen, übervorteilt und mit Menschen gehandelt, nicht weil es unumgänglich, sondern weil es möglich gewesen war. Gewiss, er war nie grausam gewesen – aber eben nur in dem Sinne, in dem auch ein Raubtier nicht grausam ist, wenn es seine Beute zerreißt.
Die Frage, warum er ein Raubtier war und ob er eines sein musste, hatte ihn schon früh beschäftigt, zur Philosophie Rousseaus und schließlich zu den Schriften Claude Henry de Rouvroys, des Grafen
von Saint-Simon, geführt. Die Zukunft der zivilisierten Völker hatte er daraufhin in den aufstrebenden Industrien Nordamerikas gesehen, und erst als sich deren kapitalistisches Grundprinzip als ebenso menschenverachtend, seine Repräsentanten als ebenso sinnlos machtgierig erwiesen wie die französische oder spanische Aristokratie – allerdings ohne deren adlige Generosität zu besitzen –, hatte John Lafflin sich dem Sozialismus zugewandt.
Seine Arbeit für die nicht ideelle, sondern durch und durch praktische Sklavenbefreiung betrachtete er als Wiedergutmachung sowohl seiner Untaten als auch seiner Irrtümer. Schon Anfang der 1840er-Jahre besuchte er abolitionistische Veranstaltungen, spendete, agitierte sogar ein wenig, aber erst als er in der Hütte seines alten Kampfgenossen Gringoire die ungewöhnliche junge Frau kennenlernte, hatte er das handfeste Ziel gefunden, das sein Leben und sein Denken in Einklang brachte.
Er bewunderte Deborah vorbehaltlos, ja fast ein wenig schwärmerisch. Eine entlaufene Sklavin, die den Mut besaß, in die feindliche Welt der Sklavenhalterstaaten zurückzukehren, um auch anderen Menschen ein Leben in Freiheit zu ermöglichen, war in seinen Augen eine mythische Gestalt. Moses war ein noch viel zu unbedeutender Name für eine solche Frau, denn Moses hatte Gott auf seiner Seite gehabt – und Gott war inzwischen tot. Deborah handelte aus eigenem Antrieb, aber nicht zum eigenen Nutzen und war damit der autonome, moderne Mensch, der Lafflin und seinen bevorzugten Philosophen als Ideal vorschwebte.
Vielleicht fiel es ihm gerade deswegen so schwer, die junge Frau auch als wirklichen, normalen Menschen zu betrachten. Wer war sie? Was wollte sie?, fragte er sich, als er die schwärmerische Phase ihrer Zusammenarbeit schon nach der zweiten oder dritten gemeinsamen Befreiungsaktion hinter sich gelassen hatte. Er kannte nur wenig von ihrer Geschichte. Sie hatte selten davon geredet, nur auf Nachfrage, und das Thema jedes Mal schnell wieder fallen lassen. Lafflin drängte sie nicht. Was sie tat, was sie gemeinsam taten, war ihm zu wichtig, um es in einer auch persönlichen Beziehung zu zerfragen.
Dennoch stimmte es ihn seltsam glücklich, als Deborah ihn an ihrem dritten Abend im Delta schüchtern fragte, wer eigentlich der junge Mann war, der ihr Schiff durch die tückischen Sumpfgewässer steuerte. Woher kannte er ihn? Warum half er ihnen? Wo war seine Familie? Deborah war nicht sehr geübt in der uralten Kunst der Verliebten: Antworten zu erhalten, ohne Fragen zu stellen, und verstand sich auch nicht auf langwierige Plaudereien mit gespitzten Ohren. Also ging sie die Sache so direkt an, wie es gerade noch möglich war, ohne ihr Gesicht zu verlieren. Schon bei der Frage nach John Gowers’ Familie kam sie sich allerdings albern und unehrlich vor, weil sie ja bereits wusste, dass er eine Waise war.
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