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Fluch des Südens: Ein Fall für John Gowers (German Edition)

Fluch des Südens: Ein Fall für John Gowers (German Edition)

Titel: Fluch des Südens: Ein Fall für John Gowers (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Twardowski
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verschlangen alte und veränderten die zahllosen Wege, die die Kanus und Pirogen der Cajuns in diesem Chaos einschlagen konnten.
    Trotz dieser permanenten Erneuerung war die wuchernde Landschaft, die üppige Vegetation doch seit Millionen von Jahren merkwürdig gleich geblieben, und die ersten Ichthyostegen, die in den Sumpfwäldern des Karbons beschlossen hatten, ihr Jagdglück auch an Land zu versuchen, hätten keine großartigen Veränderungen wahrgenommen, wenn sie ihr aussichtsreiches Experiment in der Mitte des 19. Jahrhunderts wiederholt hätten. Nur weil sie inzwischen zu Säugetieren, Primaten und Kartografen geworden waren, die sich ihre Futterplätze merken mussten, hatten sie auch die Angst, sich zu verlaufen, und den daraus resultierenden Wunsch nach Orientierung entwickelt.
     
    Die beiden Männer in Bug und Heck des Kanus loteten fast ununterbrochen, während der dritte, ein bärtiger, urzeitlicher Riese, das zerbrechliche Gefährt im Zickzack durch einen trüben Wasserlauf westlich des Lake Laurier steuerte. An den Stellen, die eine mögliche Fahrrinne nach Nordwesten, in Richtung auf die kleine Hackberry Bay und den Little Lake, darstellten, bohrten die Männer lange hölzerne Stangen in den Schlammgrund der schmalen Durchlässe. In einer offenbar genau abgemessenen Höhe waren Fetzen von Stoff daran befestigt, die sich beim Ausstecken jedoch sämtlich unterhalb der Wasseroberfläche befanden.
    Wortlos fuhren sie zwei, drei, fünf Meilen durch das weit verzweigte
Labyrinth kleiner Kanäle beinahe stehenden Brackwassers. Nur einmal knurrte der Ältere, ein weißhaariger, lederhäutiger Greis, auf Französisch: »Vipère!«, und deutete auf ein Knäuel verschlungener Wasserschlangen, die sich im Gerippe eines nur noch mit viel Fantasie erkennbaren, von weiß Gott woher angeschwemmten Eselkadavers häuslich eingerichtet hatten. Eine der Schlangen, anscheinend ein Wächter, schwamm mit eleganten Bewegungen, den Kopf eine Handbreit über der Wasseroberfläche, eine Weile hinter dem Boot her. Entsprechend unangenehm war es, die Arme immer wieder bis zu den Ellenbogen in das undurchsichtige braune Wasser zu tauchen, aber die Männer beendeten ihre Arbeit erst, als ihnen schmale Streifen trockenfallenden Marschlands und die hier und da auftauchenden Wurzelknie niedriger Mangrovengewächse anzeigten, dass die Ebbe eingesetzt hatte.
    Wieder hatten sie nicht all ihre Stangen verbraucht und waren offenbar nicht so weit vorangekommen, wie sie wollten. Während der Riese zurückpaddelte, setzte der jüngere Mann eine blaue Brille ab und eine kurze Tonpfeife in Brand und versuchte, sich möglichst viel von der eintönigen Landschaft einzuprägen, falls die Flut einige ihrer Stangen wegreißen würde. Zuf rieden stellte er fest, dass jetzt alle Markierungen zu sehen waren. Über dem Mangrovendickicht wurde irgendwann eine hohe, rechtwinklige Form sichtbar, die in dieser amphibischen Welt merkwürdig deplatziert wirkte  – und deplatziert war noch der harmloseste Ausdruck für den kleinen Flussdampfer, der sich in diese tückischen Gewässer, halb Sumpf, halb Meer, gewagt hatte.
    Im Süden, zwei Meilen entfernt, wo das Schwemmland so fest geworden war, dass die Mangroven zu einem mehrere Meter hohen Wald heranwachsen konnten, hörten sie die Brandung der Karibischen See leiser werden, als die Ebbe das Wasser in den Golf von Mexiko hinauszog, und der junge Mann dachte jetzt nur noch daran, dass er nun fast drei Stunden würde schlafen können. John Gowers hatte seit zwei Tagen nicht mehr geschlafen; seit die Deep South oberhalb von Port Sulphur den eigentlichen Fluss verlassen hatte und in das riesige Mündungsgebiet eingedrungen war.
    Er wusste, dass er das offene Wasser der großen Buchten meiden musste, denn der Raddampfer, also eigentlich nur ein Floß mit Aufbauten, wäre in Seegang und Wind so hilflos wie eine Hutschachtel und würde bei der ersten Gelegenheit kentern. Immer wieder suchte er deshalb den Schutz niedriger kleiner Inseln und tastete sich an endlosen Schlammbänken entlang, ständig in der zweiten großen Gefahr: stecken zu bleiben und nicht mehr vor- und zurückzukönnen. Glücklicherweise war nur wenigen Leuten an Bord wirklich klar, welches Risiko ihr Lotse einging, gerade weil bisher alles glimpflich verlaufen war.
    Klempnerarbeit, dachte er manchmal zynisch. Wenn man alles richtig macht, merkt es kein Mensch. Aber macht man nur einen einzigen Fehler, ist alles voller Scheiße!
    John Lafflin

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