Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Fluch des Südens: Ein Fall für John Gowers (German Edition)

Fluch des Südens: Ein Fall für John Gowers (German Edition)

Titel: Fluch des Südens: Ein Fall für John Gowers (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Twardowski
Vom Netzwerk:
dramatisch, zumal die Leute mit den besten Augen von der Mastspitze aus das Land bereits sehen konnten. Aber wenn andererseits dies ihr Schicksal wäre: in ewiger Reglosigkeit so kurz vor dem ersehnten Ziel dahinzutreiben, ohne es je zu erreichen, wie der Prophet sagte und sie ihm glaubten, war eben ein Opfer nötig.
    Te Kooti ließ zunächst ihr Taonga einsammeln, ihre wertvollsten Besitztümer. Talismane, Amulette, meist aus Jade und uralt, seit Generationen von den Vätern an die Söhne weitergegebene Erbstücke ihrer Familien, Symbole ihres Whakapapa, die sie an ihre Vergangenheit und ihre Vergangenheit an sie banden. Viele dieser Männer hätten sich noch vor zwei Jahren lieber das Herz herausreißen lassen, als diese abgegriffenen grünen Steine herzugeben. Warum sie es jetzt widerstandslos taten, würde eine psychologische Untersuchung über Gruppe und Individuum,
Suggestion und Gehorsam vielleicht erklären können. Die Enge des Schiffs, ihr gemeinsames Schicksal, Te Kootis konkrete Macht, die auf den Waffen beruhte, die nur an seine engsten Gefolgsleute verteilt worden waren, und schließlich ihr unbegrenztes Vertrauen in sein Tapu, seine Auserwähltheit vor Gott, sowie die Schnelligkeit, mit der er handelte, spielten dabei die größte Rolle.
    Als die Taonga in einer einfachen Decke gesammelt waren, warf der Prophet sie ohne ein weiteres Wort oder Zögern ins Meer. Sie hatten nun keine Familie, keinen Stamm mehr, aber anstatt zu begreifen, was sie getan hatten, sahen die Whakarau nach oben und waren ernsthaft erstaunt, dass der Atem Gottes auf sich warten ließ und noch immer kein Wind wehte. Te Kooti aber verhüllte sein Haupt und sagte leise, dass eingetreten sei, was er befürchtet habe: dass ihr Opfer noch nicht genüge. Auf seinen Befehl hin wurde der Zweifler Te Warihi mit gebundenen Händen vor ihn gebracht.
    Wieder ging alles schneller, als die Menschen begreifen konnten. Kaum hatte der Prophet die Worte »Blut von meinem Blut, Herr!« in den Himmel gerufen, kaum noch hatte der alte Mann Zeit gehabt zu erwidern, dass er Gott nie untreu geworden sei und sein Tod nur der Rachsucht eines unverbesserlichen Lügners geschuldet — da stand er schon nicht mehr unter ihnen. Mit harten, schnellen Griffen hatten Maaka Ritai, Te Kootis auserwählter Henker, und einige andere Männer seiner Leibwache Te Warihi über Bord geworfen, und selbst die wenigen Whakarau, die nicht wie versteinert zugeschaut hatten und an die Reling stürzten, sahen nichts mehr von ihm als einen Wirbel kleiner Luftblasen, die an der Wasseroberfläche zerplatzten.
    »Der Wind wird zurückkommen!«, sagte der Prophet laut und beendete mit diesen düsteren Worten das Schauspiel, das vor allem durch seine grausige Schnelligkeit allen tief in die Knochen gefahren war, wo sie es seiner Unumkehrbarkeit wegen noch bis an ihr Lebensende spürten.
    John Gowers stand an Deck der Rifleman , als all das geschah. Aber da er die Sprache der Maori nicht verstand, wusste er auch nicht, was vorging. Er hielt es für eine Art Gottesdienst, und das Versenken der grünen Steine bestätigte ihn in dieser Ansicht. Derlei religiöser Unsinn interessierte ihn nicht. Den Mord an dem alten Mann hatte er nicht gesehen, weil er im gleichen Moment mit dem nautischen Besteck und dem fernen Küstenstreifen vor Augen versuchte, die genaue Position des Schiffs zu bestimmen. Als das entsetzte Schweigen der dreihundert Menschen das unverständliche Stimmengewirr ganz plötzlich beendete, wanderte sein Blick instinktiv nach mittschiffs, wo die Menge jetzt wie erstarrt stand. Aber da Te Warihi untergegangen war wie ein Stein, wusste Gowers nicht, was die Ausbrecher so in den Bann geschlagen hatte.
    Erst das sonderbare Verhalten der weißen Crew zeigte ihm, dass etwas Gravierendes vorgefallen sein musste. Die Seeleute genossen auf Te Kootis ausdrücklichen Befehl hin eine bevorzugte Behandlung. Sie bekamen besser und stets als Erste zu essen, außerdem ein Glas Porter zu jeder Mahlzeit und das Doppelte ihrer Heuer, unglaubliche sechs Pfund pro Mann waren ihnen für ihre Dienste in Aussicht gestellt worden. Jetzt drängten sie sich verängstigt am Fockmast zusammen, weil sie glaubten, ihr letztes Stündlein habe geschlagen. Wenn diese Leute einen der ihren über Bord warfen wie ein Fass mit verdorbenem Zwieback, was würde dann erst mit ihnen geschehen?
    Gowers legte den Sextanten weg und kam dazu, als Te Kooti ruhig und eindringlich mit den Seeleuten sprach. Er verstand

Weitere Kostenlose Bücher