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Fluch des Südens: Ein Fall für John Gowers (German Edition)

Fluch des Südens: Ein Fall für John Gowers (German Edition)

Titel: Fluch des Südens: Ein Fall für John Gowers (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Twardowski
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Versammlung von Leibeigenen; arrogant, amüsiert, unendlich überlegen, aber auch ein wenig fehl am Platz.
    Nur am Rand dieser feinen Gesellschaft fiel ein kleiner, rundlicher Herr in billigem grauem Anzug und mit dem Gesicht einer jovialen Bulldogge als Nordstaatler auf. Dass er trotzdem dazugehörte, sah man an den angeregten leisen Gesprächen, die er mit den Gentlemen des Südens führte. Vermutlich handelte es sich um einen Reporter oder etwas Vergleichbares. Da auch diese Gruppe sich ruhig und zivilisiert verhielt, glaubte Mrs. Sheperd noch immer, das allgemeine Interesse richte sich auf die angekündigte Diskussion über die literarische Qualität von Onkel Toms Hütte , und kündigte als Hauptredner des heutigen Abends den jungen Cord Chambers an, der soeben seine philologischen Studien im berühmten Harvard mit Auszeichnung abgeschlossen habe.
    Magister Chambers stand während dieser kurzen Vorstellung auf und verbeugte sich ebenso schüchtern wie selbstbewusst; ungefähr so, als hätte er im Laufe der letzten Tage den tiefen Teller erfunden, aber die Tragweite des Ereignisses noch immer nicht ganz erfasst. Er sprach sodann mit großer Kunstfertigkeit über »Retardierende Erzählelemente in ihrem Bezug zum Spannungsbogen« und begann  – wie jeder ausgezeichnete Philologe  – bei Homer. Schlagartig umhüllte so etwas wie der tiefe Friede des Unverständnisses die dicht gedrängte Zuhörerschaft. Tatsächlich ist kaum etwas geeign eter, jedwede Art von Fanatismus zu beschwichtigen, als die retardierenden Erzählelemente in ihrem Bezug zum Spannungsbogen. Der novellistische Einschub, der klassische vierte Akt, schließlich die Sterne’sche Digressionstheorie  –
auch die wildesten Herzen und Hirne fühlten sich bald heimelig in die sorglosen Tage ihrer Schulzeit versetzt.
    Der junge Philologe machte den sympathischen Eindruck eines Mannes, der so genau weiß, wovon er spricht, dass im Grunde keine Notwendigkeit zum Zuhören besteht, sondern seinem fachlichen Urteil blind vertraut werden kann. Er beging allerdings irgendwann den unverzeihlichen Fehler, auf Harriet Beecher-Stowe und Onkel Toms Hütte zurückzukommen. Nun erinnerten sich die zahlenmäßig drückend überlegenen Sklavereigegner wieder, wozu sie hergekommen waren, und ein Mann mit einem furchterregend alttestamentarischen Bart erhob sich und schwieg so eindrucksvoll, dass Chambers irgendwann nicht mehr umhinkonnte, ihn zu bemerken.
    »Ja, bitte?!«, sagte der Magister, als erwartete er Einwände gegen seine Interpretation des Schildes des Achill  – und kam danach, zumindest an diesem Abend, nie wieder zu Wort.
    Er danke seinem Vorredner, sagte der Wohlbebartete  – was sowohl der Hauptredner als auch der Vorstand der Literarischen Gesellschaft mit überraschtem Stirnrunzeln quittierten  –, für seine klugen und nachdenkenswerten Worte. Aber man dürfe doch über alle retardierenden Elemente nicht den Sinn des Buches vergessen, der darin bestehe, die gotteslästerliche Unmenschlichkeit der Sklaverei anzuprangern, die fluchwürdige Gesetzgebung über die Auslieferung entlaufener Sklaven und die ganze jammervoll verfehlte Politik der Vereinigten Staaten von Amerika in der Sklavenfrage. Donnernder Beifall spülte wie ein reinigendes Gewitter die Diskussion über die literarische Qualität von Onkel Toms Hütte ganz einfach aus dem Saal.
    In offenbar nicht abgesprochener Reihenfolge sprangen nun nacheinander mehrheitlich schwarz gekleidete Herren und Damen auf und äußerten Grundsätzliches über beziehungsweise gegen die Sklaverei: Bibelverse, Worte großer Männer, Zitate aus der Verfassung und den Klassikern, die vor allem gemeinsam hatten, dass sie ursprünglich auf alles Mögliche, aber eben nicht auf die Sklaverei bezogen waren. Diese Jubelverse hoben jedoch die Stimmung ganz
beträchtlich, sah man sich doch nach einer Weile nicht mehr nur im Schulterschluss mit allen guten Menschen hier im Saal oder in Amerika, sondern in der gesamten Menschheitsgeschichte und überall auf der Welt. Die dazu notwendige Vereinfachung aller Sachverhalte, gegenwärtiger wie vergangener, führte dazu, dass man innerhalb einer halben Stunde nur noch von Gut und Böse sprach, von Richtig und Falsch, wenn auch nicht von Schwarz und Weiß. Denn schließlich gab es gute Weiße, einfach, bieder, schwarz gekleidet, und böse Weiße in eleganten Anzügen. Die schwarzen Sklaven aber waren nur noch die Verhandlungsmasse zwischen den verfeindeten

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