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Flucht aus Katmandu

Titel: Flucht aus Katmandu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kim Stanley Robinson
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etwa fünftausend Meter Höhe und ziehen einen nackt aus und gießen ein paar Eimer Wasser über einen und weichen etwa zwanzig weiße Laken im Bach ein und lassen einen dann da oben zurück, und man muß sich nicht nur warmhalten, man muß sich sogar so warm halten, daß man die weißen Laken trocknen kann, so viele wie möglich, und je mehr man im Lauf der Nacht trocknet, desto besser ist es für die Prüfung, daß ist ein strenger numerischer Test, wie jede Aufnahmeprüfung an der Uni und sehr genau, wenn es darum geht, herauszufinden, wer der beste Lama sein wird. Na ja, ich wollte euch ja erzählen, als sie dieses Eiswasser über mich gossen, war der Schock so stark, daß ich meine Tumo-Ausbildung völlig vergaß, ich meine, ich vergaß sie einfach, und da stand ich splitternackt auf fünftausend Meter Höhe um acht Uhr Abends im November und wußte einfach nicht, was ich tun sollte …«
    Und er quasselte endlos weiter. Ich glaube, ich schlief ein paar Mal ein, obwohl mich jede Bewegung meiner Astgabel hochfahren ließ, wenn mir wieder einfiel, wo ich war.
    Der Himmel wurde immer heller. Meine Hände waren schrecklich wund, und ich merkte, daß ich mich die ganze Zeit da oben an den Ästen festgehalten hatte.
    »… und als sie schließlich kamen, hatte ich die Laken alle zusammengefaltet, und sie sahen praktisch aus wie gebügelt und waren trockner als Toast, aber Kunga Norbu traute dem Braten nicht, und als er die Asche fand, hat er mit einem Stock die Scheiße aus mir rausgeprügelt …«
    »Freds?«
    »Was? He, George! Guten Morgen! Die Sonne müßte jeden Augenblick aufgehen, oder? Was für ein Tag! Mann, wird doch toll sein, von diesem Baum hier runterzukommen, oder? Wir schlagen uns zu Daubahals Lager durch und fahren dann nach Katmandu, Mann, und dann gehen wir ins Old Vienna, ich bin schon halb verhungert, du nicht auch? Ich werde Wiener Schnitzel, Gulasch und Apfelstrudel essen, vielleicht sogar zwei Portionen Apfelstrudel, klar, und das Dasain ist noch voll im Gange, und Katmandu ist ganz toll während des Daisan, und wir können auf die Straßen gehen und feiern, bis wir nicht mehr wissen, wo uns der Kopf steht.«
    »Was genau sollen wir feiern?« krächzte Bahadim müde.
    »Hmm … na ja, tja, zum Beispiel, daß wir von diesem Baum runtergekommen sind. Ich weiß nicht, wie es bei euch ist, aber mir fallen die Beine ab. Ich glaube, ich hab' mir während der Fahrt Erfrierungen geholt. Das erinnert mich daran, wie wir vorhatten, mit dem Rad nach Makalu zu fahren …«
    »Freds!« sagte ich.
    »Was?«
    »Halt die Klappe.«
    »Na klar, Bruder. Ich will mir nicht nachsagen lassen, daß ich jemandem auf den Wecker gefallen bin, aber damit ihr da oben nicht einschlaft oder so, sollte ich euch wohl lieber auf den Wecker fallen …«
    Ich ließ seine Stimme in die Geräuschkulisse des erwachenden Dschungels treiben. Ich war müde – sehr, sehr, sehr müde.
    Aber irgend etwas daran, wie Freds von Katmandu gesprochen hatte, ließ das Bild der Stadt deutlich vor meinem inneren Auge erstehen. Es kroch geradezu über die Innenseiten meiner Augäpfel. Und als die rote Sonne den Horizont aufbrach und sich die dicke, feuchte Luft mit Licht füllte und wir uns anschickten, den Baum hinabzusteigen (›Wo sind die Feuerwehrleute? Vielleicht sind Katzen doch gar nicht so dumm!‹), mußte ich unwillkürlich an die Stadt denken, an die überfüllten Straßen und die Läden mit offener Front und die Tempel überall und die Bettler auf den Straßen, und ich wußte, daß sie sich niemals verändern würde – wenn wir zurückkamen, würden die Kühe noch den verrückten Verkehr behindern, und die riesigen Fledermäuse würden mit den Köpfen nach unten an den Kiefern auf dem Palastgelände hängen, und die Menschenschlangen würden sich hunderte Meter weit aus dem Postamt und dem Telegraphenamt erstrecken, und die Straßenhändler würden auf den Bürgersteigen sitzen und Zuckerwaren und Weihrauch und Antibiotika und unbestimmbare Früchte und Ballen mit leuchtendem Tuch verkaufen, und Krähen und Wolken und Regenbogen würden über uns gen Norden zum Himalaja fliegen, und Fahrradschellen würden klingeln, und die heruntergekommenen alten Straßen der Stadt würden vor Leben nur so wimmeln, und ich stellte fest, daß ich es gar nicht abwarten konnte, wieder nach Hause zu kommen.

18

    Ach ja, noch etwas; wegen dieser unterirdischen Regierungen: halten Sie die Augen offen. Und sagen Sie allen, daß Sie an sie glauben,

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