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Flucht - Ein Kay-Scarpetta-Roman

Titel: Flucht - Ein Kay-Scarpetta-Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Cornwell
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ließ ihn in den Schutz seiner Mutter fliehen, wo das Bild, das er sich von sich selbst machte, immer verwirrender wurde. Ich bin sicher, dass es für Sie keine Neuigkeit ist, Dr. Scarpetta, dass die meisten homosexuellen die Söhne von großen, brutalen Vätern sind, die Pick-ups mit Gewehrhaltern und Aufklebern der Südstaatenflagge fahren.«
    Ich dachte an Marino. Ich wusste, dass er einen erwachsenen Sohn hatte. Bis zu diesem Moment war mir noch nie aufgefallen, dass Marino niemals von seinem Sohn erzählte, der irgendwo im Westen lebte.
    Ich fragte: »Wollen Sie andeuten, dass Al homosexuell war?«
    »Ich will andeuten, dass er zu unsicher war und sich zu minderwertig fühlte, als dass er eine intime Beziehung gleich welcher Art hätte eingehen können. Soweit ich weiß, hatte er nie ein homo sexuelles Erlebnis.« Sein Gesicht war undurchschaubar, als er über meinen Kopf hinwegsah und an seiner Pfeife zog.
    »Was passierte in der Gruppentherapie an diesem Tag, Dr. Masterson? Was war das kleine Wunder, von dem Sie gesprochen haben? War es seine Imitation des Stiefmütterchens?«
    »Das war nur der Anfang«, sagte er. »Aber das Wunder, wennSie es so nennen wollen, war ein sehr intensiver und lebhafter Dialog, den er danach mit seinem Vater führte, von dem er sich vorstellte, dass er auf einem leeren Stuhl in der Mitte des Raumes säße. Als dieser Dialog intensiver wurde, merkte der Therapeut, was los war, setzte sich auf den Stuhl und spielte die Rolle von Als Vater. Mittlerweile war Al so in das Spiel vertieft, dass er fast in Trance fiel. Er konnte Wirklichkeit und Vorstellung nicht mehr trennen, und schließlich brach seine ganze Wut aus ihm heraus.«
    »Wie hat sie sich manifestiert? Wurde er gewalttätig?«
    »Er begann hemmungslos zu weinen«, antwortete Dr. Masterson.
    »Wie verhielt sich sein Vater dabei?«
    »Er überschüttete ihn mit den üblichen Vorwürfen, kritisierte ihn, sagte ihm, wie wertlos er sei, als Mann und als Mensch. Al reagierte überempfindlich auf Kritik, Dr. Scarpetta. Darin lag teilweise auch ein Grund für seine Verwirrtheit. Er dachte, er sei empfindlich für die Gefühle anderer, während er in Wirklichkeit nur für seine eigenen empfindlich war.«
    »Wurde Al hier von einem Sozialarbeiter betreut?«, fragte ich, während ich durch die Akte blätterte und keine Eintragungen über einen Therapeuten fand.
    »Natürlich.«
    »Wer war es?« Mir schien, als fehlten in der Akte einige Seiten. »Der Therapeut, von dem ich gerade sprach«, antwortete er knapp.
    »Der Therapeut aus der Gruppentherapie?«
    Er nickte.
    »Arbeitet er immer noch in diesem Krankenhaus?«
    »Nein«, sagte Dr. Masterson. »Jim ist nicht mehr hier ...« »Jim?«, unterbrach ich ihn.
    Er klopfte den verbrannten Tabak aus seiner Pfeife.
    »Wie ist sein Nachname, und wo ist er jetzt?«, fragte ich. »Bedauerlicherweise kam Jim Barnes vor vielen Jahren bei einem Autounfall ums leben.«
    »Vor wie vielen Jahren?«
    Dr. Masterson putzte wieder seine Brille. »Ich glaube, es ist acht, neun Jahre her.«
    »Wie kam es dazu und wo?«
    »Ich kann mich nicht mehr an die Einzelheiten erinnern.« »Wie tragisch«, bemerkte ich, als ob die Sache damit für mich nicht mehr interessant wäre.
    »Ich vermute, dass Al Hunt in Ihrem Fall zu den Tatverdächtigen zählt«, sagte Dr. Masterson.
    »Es sind zwei Fälle. Zwei Morde«, antwortete ich.
    »Also gut, zwei Fälle.«
    »Um Ihre Frage zu beantworten, Dr. Masterson, meine Aufgabe besteht nicht darin, irgendjemanden irgendeiner Sache zu verdächtigen. Das ist Sache der Polizei. Ich bin gerade dabei, Informationen über Al Hunt zusammenzutragen, mit deren Hilfe ich abklären kann, ob er bereits früher Selbstmordgedanken hegte.«
    »Bestehen darüber irgendwelche Zweifel, Dr. Scarpetta? Er hat sich erhängt, oder? Könnte es sich um irgendetwas anderes als um einen Selbstmord gehandelt haben?«
    »Er war merkwürdig gekleidet. In T-Shirt und Unterhosen«, antwortete ich sachlich. »So etwas führt zu Spekulationen.«
    »Spielen Sie auf autoerotische Asphyxie an?« Er hob erstaunt die Augenbrauen. »Dass sein Tod ein Missgeschick war, während er masturbierte?«
    »Ich werde mein Bestes tun, um diese Möglichkeit auszuschließen, falls jemals danach gefragt werden sollte.«
    »Ich verstehe. Wegen der Versicherung. Für den Fall, dass seine Familie die von Ihnen festgestellte Todesursache in Zweifel ziehen sollte.«
    »Nicht nur aus diesem Grund«, erwiderte ich.
    »Hegen Sie

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