Flucht - Ein Kay-Scarpetta-Roman
nippte an seinem Drink. »Bist du verheiratet?«
»Ich war es.«
»Hmmm.« Er legte die Stirn in Falten, während er nachdachte. »War da nicht ein Tony sowieso ...? Jetzt fällt es mir ein. Du hattest da was mit Tony ... Benedetti, richtig? Am Ende unseres dritten Jahres.«
Es erstaunte mich, dass Mark das bemerkt hatte, mehr noch, dass er sich daran erinnerte.
»Wir sind geschieden. Schon lange«, erwiderte ich.
»Das tut mir leid«, sagte er mit sanfter Stimme.
Ich griff nach meinem Drink.
»Hast du einen Freund, einen netten womöglich?«, fragte er.
»Im Moment habe ich niemanden. Ob nett oder nicht.«
Mark lachte nicht mehr so viel wie früher. Freiwillig und sachlich erklärte er: »Vor ein paar Jahren hätte ich fast geheiratet, aber es hat nicht hingehauen. Oder vielleicht sollte ich ehrlich sein und gestehen, dass ich in der letzten Minute panische Angst bekam.«
Es fiel mir schwer, zu glauben, dass er nie geheiratet hatte. Wieder ahnte er, was ich dachte.
»Das war nach dem Tod von Janet.« Er zögerte. »Ich war verheiratet.«
»Janet?«
Seine Eiswürfel kreisten wieder. »Ich lernte sie in Pittsburgh kennen, nachdem ich Georgetown verlassen hatte. Sie war Steueranwältin in der Kanzlei.«
Ich beobachtete ihn genau, und was ich sah, verblüffte mich. Mark war anders als früher. Seine Ausstrahlung, die ich damalsso anziehend gefunden hatte, hatte sich verändert. Ich konnte nicht genau sagen, wie, aber ich glaubte, dass sie dunkler, schwermütiger geworden war.
»Ein Autounfall«, erklärte er. »An einem Samstagabend. Sie fuhr los, um Popcorn zu holen. Wir wollten uns den Spätfilm ansehen. Ein Betrunkener kam ihr auf ihrer Spur entgegen. Er hatte nicht einmal das licht seines Autos angeschaltet.«
»O Gott, Mark, das tut mir leid«, sagte ich. »Das ist ja schrecklich.«
»Es passierte vor acht Jahren.«
»Hattet ihr Kinder?«, fragte ich leise.
Er schüttelte den Kopf.
Wir schwiegen.
»Meine Kanzlei eröffnet ein Büro in Washington«, bemerkte er, als sich unsere Blicke trafen.
Ich antwortete nicht.
»Es könnte sein, dass ich nach Washington versetzt werde und dorthin ziehen muss. Wir expandieren wie verrückt und sind jetzt etwa hundert Anwälte mit Büros in New York, Atlanta und Houston.«
»Wann würdest du denn umziehen?«, fragte ich ihn ganz ruhig.
»Am 1. Januar nächsten Jahres.«
»Ist das sicher?«
»Ich habe die Schnauze voll von Chicago, Kay. Ich brauche Tapetenwechsel. Ich wollte es dich wissen lassen, das ist der Grund, weshalb ich hier bin, oder sagen wir, der Hauptgrund. Ich möchte nicht nach Washington ziehen und dort irgendwann zufällig mit dir zusammentreffen. Ich würde gern in Nord-Virginia wohnen. Du arbeitest in Nord-Virginia. Früher oder später würden wir uns sicher im Theater oder in einem Restaurant zufällig über den Weg laufen. Das will ich nicht.«
Ich stellte mir vor, im Konzertsaal des Kennedy Center zu sitzen und drei Reihen vor mir Mark zu entdecken, der einer hübschen, jungen Begleiterin etwas ins Ohr flüsterte. Ich wurdean einen alten Schmerz erinnert, einen Schmerz, der damals so intensiv gewesen war, dass ich ihn körperlich gespürt hatte. Ich hatte nie einen anderen Mann als ihn angeschaut. Er war der alleinige Brennpunkt meiner Gefühle gewesen. Zuerst hatte nur ein teil von mir geahnt, dass dies nicht auf Gegenseitigkeit beruhte. Später wusste ich es dann genau.
»Das war mein Hauptgrund«, wiederholte er, jetzt ganz der Anwalt, der sein Eröffnungsplädoyer hält, »aber da ist noch etwas anderes, was mit uns beiden nichts zu tun hat.«
Ich sagte nichts.
»Vor ein paar tagen wurde hier in Richmond eine Frau ermordet. Beryl Madison ...«
Mein erstaunter Gesichtsausdruck ließ ihn einen Moment innehalten.
»Berger, einer unserer Seniorpartner, erzählte mir davon, als er mich in meinem Hotel in Washington anrief. Ich würde gern mit dir darüber sprechen.«
»Was hast du damit zu tun?«, fragte ich. »Hast du sie etwa gekannt?«
»Flüchtig. Ich habe sie einmal getroffen, letzten Winter in New York. Unser Büro dort befasst sich mit Medienrecht. Beryl hatte Probleme, einen Streit über einen Vertrag, und sie beauftragte Orndorff & Berger damit, die Sache für sie ins Reine zu bringen. Ich war zufällig in New York, als sie eine Unterredung mit Sparacino, dem für ihren Fall zuständigen Anwalt, führte. Sparacino lud mich ein, mit den beiden im Algonquin zu Mittag zu essen.«
»Wenn du glaubst, dass dieser Streit,
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