Flucht - Ein Kay-Scarpetta-Roman
zehn Dollar bezahlt.
Neben dem Kassenzettel entdeckte ich einen schmalen weißen Briefumschlag, wie ihn Banken verwenden. Er war leer, ebenso ein braunes Ray-Ban-Sonnenbrillenetui mit strukturierter Oberfläche, das daneben lag.
Auf dem Rücksitz befanden sich ein Wimbledon-Tennisschläger und ein verknittertes weißes Handtuch. Ich beugte mich über den Sitz und nahm es an mich. Auf dem Frotteerand stand in kleinen blauen Buchstaben »Westwood Racquet Club«. Denselben Namen hatte ich auf einer Sporttasche aus rotem Vinyl oben in Beryls Schrank gesehen. Marino hob sich sein Knallbonbon bis zum Schluss auf. Ich wusste, dass er alle diese Dinge schon begutachtet hatte und sie mir nur noch einmal im Zusammenhang vorführen wollte. Es handelte sich nicht um Beweismittel im engeren Sinn. Der Mörder war nie in der Garage gewesen. Marino wollte mich ködern. Er hatte das getan, seit wir das Haus betreten hatten. Es war eine seiner Gewohnheiten, die mich fürchterlich irritierte.
Ich machte den Motor aus und stieg aus dem Wagen. Die Tür schloss sich mit einem soliden, gedämpften Geräusch.
Er sah mich auffordernd an.
»Ein paar Fragen«, sagte ich.
»Schießen Sie los!«
»Westwood ist ein exklusiver Club. War sie dort Mitglied?« Er nickte.
»Wann hat sie dort das letzte Mal einen Platz reserviert?«
»Am Freitag, dem 12. Juli, um neun Uhr früh. Sie hatte eine Trainerstunde. Einmal in der Woche nahm sie so eine Stunde, viel mehr Tennis spielte sie nicht.«
»Wenn ich mich richtig erinnere, flog sie am Samstag, dem 13. Juli, am frühen Morgen von Richmond ab und kam kurz nach Mittag in Miami an.«
Er nickte wieder.
»Sie nahm also ihre Trainerstunde und ging danach geradewegs in das Lebensmittelgeschäft. Vielleicht war sie auch noch auf ihrer Bank. Wie auch immer, irgendwann, nachdem sie ihre Besorgungen erledigt hatte, muss sie sich plötzlich entschlossen haben abzureisen. Denn wenn sie gewusst hätte, dass sie am nächsten Morgen wegfliegen würde, wäre sie nicht mehr einkaufen gegangen. Sie hatte ja gar keine Zeit, all die Sachen, die sie gekauft hatte, zu essen, und sie hat sie auch nicht in den Kühlschrank gelegt. Ganz offensichtlich hat sie alles außer dem Hackfleisch und vielleicht der Rolle Pfefferminzbonbons weggeworfen.«
»Klingt logisch«, kommentierte Marino nicht allzu enthusiastisch.
»Sie ließ ihr Brillenetui und die Sachen auf dem Rücksitz im Auto liegen«, fuhr ich fort, »außerdem schaltete sie weder das Radio noch die Klimaanlage aus und ließ das Schiebedach offen stehen. Es sieht so aus, als sei sie in die Garage gefahren, hätte den Motor ausgeschaltet und wäre mit der Sonnenbrille auf der Nase ins Haus gerannt. Vielleicht ist etwas passiert, als sie mit dem Auto vom Tennis und ihren Besorgungen nach Hause fuhr ...«
»Und ob etwas passiert ist. Gehen Sie um das Auto herum, und schauen Sie sich die andere Seite an – besonders die Beifahrertür.«
Das tat ich.
Was ich sah, ließ meine Gedanken wild durcheinanderpurzeln. Direkt unter dem Türgriff hatte jemand den Namen BERYL, mit einem Herz drum herum, in den glänzenden schwarzen Lack gekratzt.
»Ganz schön schaurig, oder?«, sagte Marino.
»Wenn er das tat, während das Auto im Club oder vor dem Lebensmittelgeschäft parkte«, überlegte ich, »hätte ihn doch bestimmt jemand dabei gesehen.«
»Ja. Deshalb vermute ich auch, dass er es schon vorher getan hat.« Er machte eine Pause und ließ seinen Blick über die eingeritzten Buchstaben gleiten. »Wann haben Sie das letzte Mal auf die Beifahrertür Ihres Wagens geschaut?«
Das konnte Tage her sein. Vielleicht auch eine Woche.
»Sie ging also Lebensmittel einkaufen.« Jetzt endlich zündete er die verdammte Zigarette an. »Viel hat sie ja nicht gekauft.« Er nahm einen tiefen, hungrigen Zug. »Wahrscheinlich passte alles in eine Tüte. Wenn meine Frau nur eine oder zwei Tüten hat, stellt sie sie immer vorn ins Auto, auf die Fußmatte oder auf den Beifahrersitz. Auch Beryl ging vielleicht um das Auto herum auf die Beifahrerseite, um die Lebensmittel dort hineinzustellen. Und da sah sie, was in den Lack gekratzt war. Vielleicht wusste sie, dass es an diesem Tag passiert sein musste. Vielleicht auch nicht. Das ist nicht so wichtig. Aber es hat ihr einen solchen Schrecken verpasst, dass sie ausgerastet ist. Sie rast nach Hause oder vielleicht auch zur Bank, um Bargeld abzuheben. Bucht den nächsten Flug weg von Richmond und haut ab nach Florida.«
Ich ging mit ihm
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