Flucht in die Hoffnung
Baulärm hier schlafen?«,
fragte mich ein aufgebrachter Mann.
»Wir tun alles dafür, dass unsere Gäste zufrieden sind. Ich werde
sofort dafür sorgen, dass Sie ein anderes Zimmer bekommen. Darf ich Sie inzwischen
zu einem Glas Prosecco an die Bar einladen? Und wenn wir Ihnen einen Obstkorb
auf Ihr neues Zimmer stellen: Gibt es Früchte, die Sie besonders gerne mögen?«
Ich übertraf mich selbst, wenn es darum ging, unzufriedene Gäste in
zufriedene zu verwandeln, und das machte mir einen Riesenspaß.
Mit meinem Auto klapperte ich die Hotels ab, in denen ich Gäste zu
betreuen hatte. Die meisten meiner Kolleginnen und Kollegen hatten kein Auto
zur Verfügung und fuhren mit dem Bus. In den verschiedenen Hotels hielt ich die
üblichen Begrüßungsreden und hatte Anwesenheitspflicht zu festen Sprechzeiten,
in denen ich mir die Sorgen, Nöte, Verbesserungsvorschläge, Änderungswünsche
und Beschwerden der Gäste anhörte und wenn möglich alle Probleme löste. Durch
meine Liebe zu Farid fühlte ich mich mit den Einheimischen stark verbunden.
Meist gelang es mir, Konflikte und Missverständnisse allein deshalb zu klären,
weil ich das tunesische Servicepersonal nicht wie minderbemittelte
Hilfsarbeiter behandelte. Manchmal fiel es mir schwerer, meine deutschen Gäste
zu verstehen, als die Einheimischen. Viele Gäste wollten alles exakt haben wie
im Katalog. So hatte das Foto ausgesehen, so hatte es im Text gestanden, und genau
so musste es sein – schließlich hatten sie dafür bezahlt. Doch das Land bestand
ja nicht allein aus Hotels, die wie Theaterkulissen für wohlhabende Gäste
aufgestellt worden waren.
Obwohl ich manche der Gäste unsympathisch fand, hatte ich Skrupel,
sie zu belügen. Das gehörte jedoch auch zu meinem Beruf, etwa wenn ich sie
davor warnen sollte, im Basar Goldschmuck zu kaufen, weil sie dort betrogen
würden. Das stimmte nicht, ganz im Gegenteil. Die Namens-Goldkettchen,
seinerzeit ein beliebtes Souvenir, die ich als Reiseleiterin »zufällig« aus
meiner Jackentasche ziehen und zum Verkauf anbieten sollte, waren es, die
überteuert waren. Doch die deutschen Gäste zahlten gern für ein Gefühl von
Sicherheit, und was sie als sicher einschätzten, war nichts als Einbildung.
Nach Arbeitstagen voller Lächeln und Smalltalk kam ich abends nach
Hause, und wir gingen aus. Mit meinem Reiseleiterausweis konnten wir in noblen
Hotels günstig essen, und das nutzten wir täglich. Häufig waren wir in El
Kantaoui am Yachthafen, der beliebten Touristenmeile, wo wir mit Meerblick
gepflegt und vom Feinsten speisten, manchmal mittags und abends.
Ich fand mein neues Leben wunderbar. Genauso hatte ich es mir
vorgestellt. Ich vermisste Deutschland kein bisschen. Doch Farid vermisste ich
hin und wieder, wenn er an der Uni war. Meistens aber war er zu Hause und
schrieb weiter an seiner Doktorarbeit.
Und so ließ ich mich fallen. Farid war mein fester Punkt, mit dem
ich die Welt aus den Angeln heben konnte. Ich fasste wieder Vertrauen in die
Liebe, glaubte an das Glück.
Eines Abends saßen wir in einem Restaurant. Über der Stuhllehne hing
meine Riemenhandtasche. Bei der Suche nach einem Taschentuch fiel mir auf, dass
das Geld fehlte, das ich zuvor von der Bank geholt hatte. Meine Oma hatte mir
etwas geschickt. Die Tasche war voller Geldscheine gewesen, jetzt war sie leer.
»Das kann doch nicht wahr sein«, stammelte ich.
Fragend schaute ich Farid an, starrte in die Tasche, blickte wieder
zu Farid.
Abrupt stand er auf, die Serviette in der Hand. »Wenn du meinst,
dass ich das Geld genommen habe, dann hast du dich getäuscht. Ich lasse mich
von dir nicht verdächtigen!« Kalt sah er mich an, warf
die Serviette auf den Tisch und stürmte nach draußen.
Ich unterschrieb unsere Rechnung und rannte ihm nach.
»Farid! Warte! Bitte!«
Ohne sich umzudrehen, lief er am Hafen entlang, wo eine Luxusyacht
neben der anderen träge auf dem Wasser schwappte. Aus den umliegenden Cafés
drang dröhnend der Klang der Taballas und schlug
Löcher in die milde Luft, die von Jasminduft schwer durchtränkt war.
Jasminsträuße werden in Tunesien überall verkauft, von kleinen Jungen aus
handgeflochtenen Körbchen, die damit ein bisschen Geld für ihre Familien
dazuverdienen.
Die Männer, die diese Jasminsträußchen kaufen, stecken sie sich
hinter die Ohren, um sich am Duft der Blüten zu erfreuen, bevor sie sie an ihre
Angebetete verschenken. An diesem Abend würde ich keinen Jasminstrauß bekommen.
»Farid! Ich habe
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