Flucht ins Ungewisse
Nick ihr zuvor aufgetragen hatte, heruntergebracht. Ihr Blick hatte einem sofort gesagt, dass sie keineswegs erfreut gewesen war über diese kleine Zusammenkunft von jugendlichen Schwerverbrechern (zumindest äußerlich).
Nick schaufelte sich eine Handvoll Kekse in den Mund, ehe er mampfend sagte: „Na dann, bin gespannt, wie du uns das Ganze von vorhin erklären willst!“
Amanda lehnte sich zurück, stützte sich auf ihre Arme, wobei ihre Hände ein Stück weit in die weiche Bettdecke einsanken. Sie zuckte nur leicht mit ihrer verletzten Schulter. „Also gut“, sagte sie. Ihre Stimme klang seltsam belegt. „Da ihr schon mal mit reingezogen worden seid und ich nun auch sicher bin, was es mit Lora“, sie sah hoch zu ihr, „auf sich hat, ist es wohl sinnlos, noch weiter alles zu verheimlichen.“
Sie schluckte. Zu gern wäre ich aufgestanden und hätte ihr den Schmerz weggestrichen, der sie ganz offensichtlich befiel. Stattdessen suchte ich nach Loras Hand. Als ich sie fand, drückte ich sie leicht. Ohne einen Kommentar erwiderte sie meinen Druck. An ihrem Handrücken spürte ich die spinnennetzartige Narbe von unserem ersten Zusammentreffen.
„Für alle, die es noch nicht wissen: Ich habe bis vor etwa einem halben Jahr in einer anderen Stadt gelebt.“
„Wissen wir“, warfen Jess und Nick gleichzeitig im gelangweilten Ton ein.
„L. A.“, merkte ich erklärend an. Denn dort hab ich sie kennengelernt.
Loras Hand zuckte in meiner. Als ich zu ihr sah, spiegelte sich in ihren Augen Überraschung.
Amanda nickte, als wollte sie Zeit schinden. „Ja, L. A. Dort habe ich auch Matt das erste Mal getroffen.“ Sie lächelte etwas. „In dieser Gasse, wo mir diese hirnamputierte Truppe von Halbstarken an den Leib wollte.“ Ihre Stimme war vermischt mit einer Art Melancholie, von der ich nicht mit Gewissheit sagen konnte, ob es traurig oder amüsiert klang.
„Matt und seine seltsamen Freunde haben mir damals geholfen, auch wenn es nicht nötig gewesen wäre.“
Ich konnte mich noch gut daran erinnern. Es war diese kleine Gang gewesen, die meinte, sie könnte Seths Revier in Anspruch nehmen. Aber sie hatten keine Chance gegen uns. Zumal wir viel mehr Mitglieder hatten als sie. Und trotzdem hatte ich diesen verdammten Schlagring abbekommen. Darüber war ich heute noch wütend. Amanda hatte ich von diesem Augenblick an nicht mehr aus dem Sinn bekommen. Ihr entschlossener Blick, diese nach außen hin starke Art, die sie zutage brachte.
„Nicht nötig?“, fragte ich, hielt mir ihr Bild von damals vor Augen. „Du konntest kaum aufrecht stehen, geschweige denn dich gegen einen von ihnen wehren.“
„Ich hätte mich von einem von ihnen … ernähren können, wenn man so will. Ich war ziemlich ausgelaugt, und das war der Grund, weshalb ich in deine Arme gefallen bin, ja? Nicht weil ich vor Schreck ohnmächtig geworden war, wie alle anderen angenommen hatten.“
Ich hatte sie gerade noch aufgefangen und weggezerrt, ehe sie einen Schlag auf den Kopf bekommen hatte.
Sie seufzte leise, lehnte sich wieder vor, die Unterarme verschränkt auf ihrem Bein, wobei ihr der Kühlbeutel in den Schoß fiel. „Wo soll ich nur anfangen? Außer Cass weiß niemand davon. Ich hab das Ganze auch noch nie wirklich in Worte zusammengefasst.“
Ich sah von ihr zu Cass, dessen Atem sich verändert hatte, doch er rührte sich nicht. Einbildung? Nein …
„Es ist diese Organisation“, fuhr Amanda fort, tippte mit den Fingern auf ihr Knie. „Offiziell ist es ein Institut, das sich um schwer erziehbare Kinder und Jugendliche kümmert. Zumindest nach außen hin.“ Sie ließ einen Finger knacken, was sich für mich anhörte, als würde sie ihn brechen. „In Wirklichkeit aber experimentieren sie mit Menschen.“ Wieder sah sie zu Lora. „Menschen wie uns.“
„Uns?“, wiederholte Lora. „Ich bin nicht wie du!“
„Da hast du recht, wir haben unterschiedliche Fähigkeiten, aber uns beiden sind sie angeboren, sie müssen nur erweckt werden. Was uns für diese Leute interessant macht.“
Loras Hand begann in meiner zu zittern. „Das ist doch Schwachsinn!“
„Und das nach allem, was du bisher erlebt hast?“
Nick und Jess sahen Lora an.
„Ich …“ Sie versank für einen Moment in Gedanken. Von ihr ging eine kräftige Welle von Unsicherheit aus.
Ich wandte mich an Amanda. „Weiter!“
„Nicht so ungeduldig“, meinte sie, eine Hand abwehrend erhoben. „Es ist nicht leicht für mich, das alles zu erzählen. Immerhin
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