Flucht ins Ungewisse
heut nich’, was mit Amy passiert is’! Ich blockier ihre Erinnerungen.“
Zähflüssige Stille legte sich über alle Anwesenden.
„Das kannst du?“ Jess rutschte ein Stück näher zu Nick. „Hast du mit uns auch was gemacht?“
Cass drehte seinen Kopf etwas und sah Jess mit hochgezogenen Augenbrauen an, so, als wäre er entsetzt über ihre Annahme. „Nein, es is’ schon anstrengend genug, es bei zwei Leuten Tag und Nacht aufrechtzuhalten.“
Lora wollte sich aus meiner Hand winden, doch ich hielt sie weiterhin fest. Sie sah mich kurz fragend an, gab dann aber schnell auf. „Und was genau hat das alles noch mit meiner Mum zu tun?“, fragte sie. Ihre Stimme klang dabei seltsam brüchig.
Cass und Amanda wechselten einen Blick.
„Sie dachten, Kathrin weiß, wo ich bin“, meinte Amanda leise. „Sie haben sie gesucht und gefunden. Aber sie hat anscheinend nichts über meinen Aufenthaltsort verraten. Dann weiß ich nur noch, dass du, Ambers, sie tot aufgefunden hast.“
„Tot?“, kam das Wort langsam über meine Lippen. Ich sah zu Lora, doch sie war damit beschäftigt, Löcher in den Boden zu starren und die Tränen aus ihren Augen zu blinzeln.
Lorianna Ambers:
„Nein, das ist einfach nur das Ende!“
Mein schwerer Atem, der zusammen mit meinen abgehakten Herzschlägen meine Ohren erfüllte. Der süßlich stinkende Duft, der sich in Dads Arbeitszimmer ausgebreitet hatte. Die Zettel und Aktenordner, die sich nach und nach mit Blut vollsogen, genauso wie meine nagelneuen Vans. Und der reglose Körper meiner Mum. Ihre langen, welligen Haare, die in der rötlichen Lache aufgefächert schwammen. Mein Unglauben, meine Panik.
All das sah und spürte ich noch, als wäre es erst gestern gewesen.
„Lora?“, hörte ich Matts Stimme. Ich sah mit verschwommener Sicht zu ihm. „Ist es wahr? Das mit deiner Mutter?“
Ich nickte wie betäubt, merkte kaum, dass ich mich fester an seine Hand klammerte. „Ja, ich hab sie damals in unserem Haus gefunden. Aber ich wusste nicht … Ich hatte keine Ahnung, dass …“ Mein Körper erzitterte erneut bei der Erinnerung.
„Ich denke“, sagte Amanda, „Lora schwebt nun in einer ähnlichen Gefahr wie ich.“
„Was meinst du damit?“, erkundigte sich Matt an meiner Stelle.
„Sie haben wahrscheinlich dieselbe Angst wie ich bis vorhin. Nämlich dass sie etwas weiß, das sie nicht wissen sollte.“
„Ich und etwas wissen?“ Ungläubig schüttelte ich den Kopf. „Du denkst ernsthaft, ich hab etwas mit denen zu tun? Ich wusste bis vor ein paar Minuten nicht mal, dass so eine kranke Organisation außerhalb von fiktiven Romanen überhaupt existieren kann!“ Meine Stimme klang seltsam bebend. „Alles, was ich weiß, hab ich eben erst erfahren! Zumindest bis zu dem Punkt mit dem Tod meiner Mutter …“ Amandas eisblaue Augen fraßen meine fast vollständig auf, aber ich wich ihrem Blick nicht aus.
„Ich hab doch gesagt, du machst ’nen Fehler, wenn du dich an Lora vergreifst!“, meinte Cass und drückte sich tiefer ins Kissen. Seine nun schwarz-rot gesträhnten Haare klebten ihm stellenweise von Blut und Schweiß im Gesicht. Er schimmerte immer noch in einem matten Gold. Obwohl ich fasziniert war von diesem Anblick, wusste ich nicht, was genau ich davon halten sollte. Aber das war gerade meine geringste Sorge …
„Sie wusste nichts davon. Und jetzt hast du sie da einfach reingestoßen“, fügte Cass noch hinzu.
Aus dem Augenwinkel sah ich, wie Matt seinen Kopf etwas senkte. Ich wusste, dass er sich immer noch die Schuld für alles gab. Was jedoch diesem Gespräch nach nicht stimmte. Denn anscheinend war ich von Anfang an mittendrin gewesen.
„Aber sie ist dennoch wie Kathrin!“ Amandas Stimme klang seltsam flehend. „Ich hatte es gleich gespürt, als ich sie zum ersten Mal gesehen habe. Auf dem Hinterhof der Schule. Sie hat so viele Ähnlichkeiten mit ihr. Ich wusste von Anfang an, dass sie irgendetwas mit ihr zu tun haben muss. Da dachte ich mir, dass Lora von der Organisation geschickt worden ist, um mich zu suchen. Oder dass sie zumindest etwas Nützliches über Kathrins Tod weiß!“
„Und deshalb musstest du sie gleich niederschlagen und einsperren?“ Matts Stimme lag irgendwo zwischen einem lauten Brüllen und einem irren Lachen.
Kein Mensch konnte diese Unterhaltung reibungslos verdauen. Selbst in Matts Fall.
„Aber …“
„Nichts aber “, herrschte Cass Amanda an. Es schien immer stiller zu werden in dem düsteren Raum. Ich hätte
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