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Flüchtig!

Flüchtig!

Titel: Flüchtig! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Kellerman
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anders.«
    »Von wegen! Aber - na ja, vielleicht hast du recht. Wie hast du mich mal genannt? Die Quintessenz aller Einser-Wissenschaftler?«
    »Eins mit Stern.«
    »Ja, ja, wahrscheinlich sterbe ich an einem Myocard-Infarkt, aber mein Papierkram wird bis dahin hoffentlich erledigt sein.«
    Es war nur teilweise scherzhaft gemeint. Sein Vater, der Dekan einer Universitätsklinik im kubanischen Havanna vor Castros Zeiten, war auf dem Tennisplatz umgekippt und mit achtundvierzig gestorben. Raoul war noch fünf Jahre von diesem Alter entfernt, und er hatte sowohl die Lebensweise von seinem Vater geerbt als vermutlich auch ein paar gefährliche Gene. Ich hatte einmal gedacht, ich könnte ihn zur Vernunft bringen, aber schon vor langer Zeit aufgegeben, sein Tempo auf das Normalmaß zu bremsen. Wenn vier gescheiterte Ehen es nicht geschafft hatten, gab es nichts, was ihn noch in diesem Sinne beeinflussen konnte.
    »Vielleicht bekommst du ja eines Tages den Nobelpreis«, sagte ich.
    »Und der geht drauf für meine diversen Alimentenzahlungen.« Er hielt das für ungeheuer komisch. Als sein Lachen erstarb, sagte er: »Du mußt mir einen Gefallen erweisen, Alex. Ich habe da eine Familie, die uns Probleme macht - Nichteinhaltung unserer ärztlichen Anordnungen. Du solltest mal mit den Leuten reden. Vielleicht hilft es.«
    »Ich fühle mich geschmeichelt, aber was ist mit euren eigenen Leuten?«
    »Unsere eigenen Leute haben die Sache total verpatzt«, sagte er ärgerlich. »Alex, du weißt, wieviel ich von dir halte - warum du eine brillante Karriere abgebrochen hast, werde ich nie begreifen, aber das ist ein anderes Thema. Die Leute, die mir das Sozialamt schickt, sind blutige Amateure, mein Freund. Im Rang nach oben geratschte, überbewertete Amateure. Leute, die mit starrem Blick die Rolle der geduldigen Helfer der Patienten spielen und dabei nichts weiter als Provokateure sind. Und die Kollegen von der Psychiatrie wollen nichts mit uns zu tun haben, weil Boorstin, ihr Boß, eine Todesphobie hat und beim Wort Krebs in Ohnmacht fällt.«
    »Ein toller Fortschritt.«
    »Alex, in den letzten fünf Jahren hat sich hier bei uns gar nichts verändert. Wenn überhaupt, ist es höchstens schlimmer geworden. Ich fange schon an, mich nach anderen Angeboten umzuhören. Letzte Woche hat man mir die Chance geboten, ein ganzes Krankenhaus zu leiten, in Miami. Als Chefarzt. Mehr Geld - und eine reguläre Professur.«
    »Und - ziehst du sie in Betracht?«
    »Nein. Die Forschungseinrichtungen dort sind Mickymaus hoch drei, und ich fürchte, sie wollen mich in erster Linie haben, weil ich Spanisch spreche, nicht wegen meiner medizinischen Fähigkeiten. Na, was meinst du - willst du unserer Abteilung ein bißchen aushelfen? Du stehst bekanntlich offiziell auf unserer Beraterliste, nicht wahr?«
    »Um ehrlich zu sein, Raoul: Ich möchte keinen Therapiefall übernehmen.«
    »Ja, ja, das ist mir völlig klar«, sagte er ungeduldig, »aber hier geht es nicht um Therapie. Es soll nicht mehr sein als eine kurzfristige Beratung, in Verbindung mit uns. Ich will jetzt nicht melodramatisch werden, aber es geht um Leben und Tod für einen sehr kranken kleinen Jungen.«
    »Und was ist das im einzelnen für ein Problem - ich meine, woran halten sich die Eltern nicht?«
    »Zu kompliziert, um es am Telefon zu erklären. Ich will nicht unhöflich sein, weißt du, aber ich muß schleunigst rüber und nachsehen, wie es bei Helen steht. Wir beobachten ein Hepatoblastom in vitro, das sich einem pulmonaren Gewebe nähert. Es ist eine mühsame Arbeit, und sie erfordert ständige Beobachtung. Sprechen wir morgen darüber - sagen wir um neun, in meinem Büro? Ich lasse uns Frühstück raufkommen - und einen Quittungsblock. Wir sind nämlich durchaus bereit, dir ein anständiges Honorar zu bezahlen.«
    »Also gut, Raoul, ich bin da.«
    »Ausgezeichnet.« Er legte auf.
    Wenn man ein Gespräch mit Melendez-Lynch beendet hatte, war das, wie wenn man von der Höchstgeschwindigkeit auf eine bedeutend niedrigere Gangart umschaltete. Ich legte den Hörer auf die Gabel, gewann allmählich meine Orientierung zurück und mußte unwillkürlich über die sehr verschiedenen Ausprägungen des manischen Syndroms nachdenken.

3
    Das Western Pediatric Medical Center beherrscht einen ganzen Block, ein rechteckiges Areal im Herzen von Hollywood, in einer Gegend, die, früher elegant, inzwischen zum Tummelplatz für Rauschgifthändler, Huren, Transvestiten und Spinner aller

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