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Flügel aus Asche

Flügel aus Asche

Titel: Flügel aus Asche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kaja Evert
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Er tauchte das Rohr ein und zog auf dem fleckigen Blatt mit raschen Strichen die Umrisse dessen nach, was er gesehen hatte. Auf einmal war seine Müdigkeit verschwunden. Das Rohr schien sich in seine Hand zu schmiegen, jeder Strich fand seinen Platz von selbst.
Als hätte ich so etwas schon einmal gezeichnet – in einem Traum vielleicht?
    Ein schläfriges Grunzen vom Pult des Aufsehers ließ ihn zusammenfahren. Kiven hatte den Kopf gehoben und blickte sich aus trüben Augen um. Sofort rollte Adeen das Papier zusammen und schob es hastig in den Korb, der für die fertigen Schriftrollen vorgesehen war. Sein Herz hämmerte. Was hatte er sich nur dabei gedacht! Er wusste doch, dass es nicht erlaubt war, auf dem Papier der Akademie herumzukritzeln – nicht nur, weil Papier und Tinte mit spezieller Magie getränkt waren, sondern auch, weil das Zeichnen nicht genehmigter Bilder per Gesetz verboten war. Sein Blick fiel auf die anderen tintenfleckigen Blätter. Kurzentschlossen griff er danach und versenkte sie tief zwischen den übrigen Schriftrollen im Korb. Vielleicht bekam er Gelegenheit, die Spuren seines Missgeschicks unauffällig verschwinden zu lassen, ehe Kiven darauf aufmerksam wurde.
    In diesem Augenblick klopfte es an die Tür, und eine junge Frau in der Tracht einer Magierschülerin trat ein. Respektvoll verbeugte sich Kiven vor ihr, und die beiden wechselten einige Worte. Adeen hoffte, hinter seinem Schreibpult möglichst unsichtbar zu werden, während er von neuem begann, den Zauber aus dem Folianten zu kopieren.
    »He, Krähe!«, knarrte Kivens tiefe Stimme.
    Krähe – da war es wieder. Adeen holte tief Luft und zählte im Kopf bis drei. Dann blickte er den Aufseher offen an.
    »Nimm deine Zauber und bring sie zu Meister Charral im Innenhof. Los, beweg dich!«
    Charral, auch das noch!
»Bin schon unterwegs«, murmelte Adeen und bückte sich nach dem Korb. Ein flaues Gefühl breitete sich in ihm aus. Vermutlich gehörte die junge Magierin zu den Schülern, die Charral gerade im Gebrauch von Schriftmagie unterrichtete. Adeen brachte ihm nicht zum ersten Mal Zauber in den Hof. Von allen Lehrmeistern der Akademie verabscheute er Charral am meisten. Er war noch jung, und wie kein anderer schien er Freude daran zu haben, Untergebene herumzustoßen: seine Schüler, aber auch die Schreiber der Akademie, allen voran Adeen, die Krähe. Charral galt als herausragender Luft-Elementarmagier und bekleidete nicht nur einen der begehrten Posten als Lehrmeister, sondern auch einen hohen militärischen Rang. Leute wie er konnten sich in dieser Stadt leisten, was sie wollten.
    »Einen Augenblick!«, sagte der Aufseher, als sich die Magierin schon wieder abgewandt hatte. »Die Bögen müssen durchgezählt werden. Ihr kennt das Protokoll, Kiara.«
    Die Augen der jungen Frau wurden schmal. »Meister Charral braucht die Zauber
sofort.
«
    Kiven zögerte einen Moment. »Also gut.« Er öffnete Charrals Schülerin die Tür nach draußen. Ein schneidender Windstoß fuhr in den Raum. Den Korb in der Hand, folgte Adeen dem Mädchen, das ihm nur einen kurzen, verächtlichen Blick zuwarf. Seine Knie fühlten sich erschreckend nachgiebig an. Wenn nur die Schülerin nicht bei ihm gewesen wäre, dann hätte er das ruinierte Papier aus dem Korb angeln, zu Schnipseln zerrupfen und dem Wind überlassen können. Bevor es den Boden erreicht hätte, wäre es in alle Himmelsrichtungen zerstreut worden. Doch so zog er sich nur die Kapuze seiner Robe tiefer ins Gesicht und starrte fröstelnd in den eisigen, tiefblauen Herbstnachmittag.
    Die Magierin warf ihm einen warnenden Blick über die Schulter zu. »Vorwärts, Krähe«, sagte sie, »nicht herumtrödeln!«
    Der Innenhof der Akademie lag im Schatten. Hier wurden junge Kampfmagier ausgebildet, die vermutlich schon bald auf den Boden geschickt werden würden, um dort ihre Macht und ihr Leben in den Dienst des Herrschers zu stellen. Die Landung der Stadt stand unmittelbar bevor. Das war seit Monaten das wichtigste Gesprächsthema in der Stadt, ein großes Ereignis. Nur die Älteren wie Rasmi erinnerten sich noch daran, wie Rashija das letzte Mal den Erdboden berührt hatte. Adeen betrachtete die jungen Männer und Frauen – einige mussten in seinem Alter sein, andere waren vermutlich nicht älter als zwölf oder dreizehn –, wie sie unter Charrals scharfen Befehlen Blitz- und Feuerfunken auf gepanzerte Attrappen schleuderten. Er wusste nicht, ob er sie bemitleiden sollte, weil der Krieg sie

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