Fluegelschlag
Weihnachtsbaum anders zu behandeln sei als brennendes Fett in der Bratpfanne. Beide Männer hatten gleich reagiert: Sie verdrehten die Augen und erklärten Juna ihre Theorie aufs Neue: Eine instinktive
Reaktion verankere sich tief im Unterbewusstsein und sei auch in Stresssituationen immer wieder abrufbar.
»Verdammter Psychokram!« Sie trat gegen eine besonders hässliche Bodenvase, die sofort in Tausende Einzelteile zerfiel. Finn sprang von der Couch und flüchtete mit eingezogenem Schwanz ins Gästezimmer.
Juna ließ sich auf den Teppich sinken, und vorsichtig kehrte er zu ihr zurück. Sie schlang die Arme um seinen Hals. »Ach, kleiner Hund. Was bin ich für ein Scheusal!«
Der warme Körper, das weiche Fell oder vielleicht auch die pelzige Schnauze, mit der er ihren Nacken abschnüffelte, sorgten dafür, dass sie sich schnell wieder fing. Sie wischte sich eine Träne von der Wange und musste gleichzeitig lachen, weil Finns Barthaare an ihrer Wange kitzelten.
»Iris würde jetzt sagen, dass solche Sentimentalitäten an Männer total verschwendet sind.«
Nun lief doch noch eine zweite Träne. Sieh mich an! Seit du weg bist, bin ich zur Heulsuse geworden! Ihre verrückte Freundin fehlte ihr sehr, und so lieb sie Sirona auch gewonnen hatte, Iris würde sie niemals ersetzen können.
Um auf andere Gedanken zu kommen, stand sie auf und ging zum Tisch hinüber, auf dem das Schwert lag. Wegen ihres Streits mit Lucian hätte sie es fast vergessen. Doch jetzt schenkte sie ihm ihre gesamte Aufmerksamkeit, strich behutsam mit den Fingerspitzen über das glatte Metall der Klinge und fragte sich, ob es richtig gewesen war, dieses kostbare Geschenk von ihm anzunehmen. Die nächste Frage war weitaus praktischer ausgerichtet: Wie sollte sie es von anderen unbemerkt bei sich tragen?
Nun, das wird er mir erklären müssen. Falls er überhaupt zurückkommt. Doch Juna gelang es nicht, sich selbst zu täuschen.
Natürlich würde er wiederkommen. Entweder, um mit ihr zu üben, wie er es versprochen hatte, oder, um sein Geschenk zurückzufordern.
Sie nahm die Spatha in die Hand und probierte mit leichten Fechtbewegungen vor dem Spiegel aus, ob sie sich gut führen ließ. Zu ihrem Erstaunen schien sie, einmal in Bewegung, fast nichts mehr zu wiegen. Dies war anfangs sehr ungewohnt, stellte sich aber bald als Vorteil heraus, denn auf diese Weise schonte sie ihre Kräfte.
Am folgenden Tag, kurz vor Sonnenuntergang, kannte sie ihre Spatha, als gehörte es seit Jahren zu ihr, und sie brannte förmlich darauf, es im Zweikampf auszuprobieren. Als Lucian am frühen Abend wie angekündigt erschien, war sie vorbereitet. Er würde sein blaues Wunder erleben.
Äußerlich ganz ruhig, aber innerlich voller Vorfreude trat sie zu ihm auf die Dachterrasse hinaus. Erst einmal ließ sie sich die Handhabung der Waffe erklären, und während Lucian einige Grundregeln des Kampfes erläuterte und dabei Haltung und Einsatz des Schwerts demonstrierte, fiel die Anspannung von ihr ab. Er hatte den Streit vom Vortag bisher mit keinem Wort erwähnt, und sie war ihm dankbar dafür.
Allmählich kribbelte es in ihren Fingern. Sie wollte sich mit ihm messen, und wenn sie ehrlich zu sich war, wollte sie ihn beeindrucken. Doch zuerst gab es noch einige Fragen zu klären. »Sollten wir nicht Schutzkleidung tragen, während wir üben?«
»Hast du Angst, ich könnte dich verletzen? Das werde ich nicht. Schon vergessen? Ich habe versprochen, dass dir kein Schaden durch jemanden wie mich zugefügt wird.«
»Eigentlich habe ich mir eher Sorgen um dich gemacht.«
Er lachte schallend. »Natürlich. Wie konnte ich das vergessen? Du bist ein mitfühlendes Wesen.«
»Du sagst das, als wäre es ein Makel.«
»Im Kampf ist es das auch.«
Sie verstand, was er meinte. Wer sich scheute, dem Gegner Schmerz zuzufügen, vergab einen wichtigen Vorteil. Leidenschaft und Mitleid hatten in einer Auseinandersetzung um Leben und Tod nichts verloren. Allerdings war für heute ihres Wissens nur eine Übungsstunde angesetzt, und sie traute Lucian zu, dass er vermeiden würde, sie zu verletzen, auch ohne noch Sympathie zu empfinden. Bisher hatte er seine Versprechen jedenfalls immer gehalten.
»Wie du meinst.« Juna lächelte scheinbar harmlos. »Dann hätte ich noch eine praktische Frage. Wie transportiere ich das Schwert? Ich meine, es ist nicht riesig, aber ich würde schon Aufmerksamkeit erregen, wenn ich morgen bewaffnet in die Tierklinik ginge.«
»Das ist in der Tat
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