Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Fluegelschlag

Titel: Fluegelschlag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeanine Krock
Vom Netzwerk:
ihr Gegenüber auch für andere Menschen sichtbar war oder nur für sie selbst. Ihr wurde klar, dass sie sich in der Öffentlichkeit genauer kontrollieren musste, um nicht eines Tages für verrückt erklärt zu werden. Eine Chance, die sich ihre reizende Stiefmutter sicher nicht entgehen lassen würde.
    »Feen sind heikel«, unterbrach Lucian ihre Gedanken. »Sie leben nach überaus merkwürdigen Regeln, und als ihr Gast tut man gut daran, sie zu befolgen.«
    »Dafür müsste man sie erst einmal kennen.« Juna seufzte. »Warum soll man eigentlich zu zweit dort auftauchen?«
    »Es heißt, dass am Tag ihrer Hochzeit keine Feenprinzessin Furcht um ihren Thron haben darf.«
    »Ach so. Und wenn Singles anwesend sind, kann man natürlich niemals wissen, was sie anstellen würden, um ihr die Herrschaft in letzter Sekunde noch abzuluchsen. Ein ziemlich misstrauisches Volk.«
    Lucian zuckte mit der Schulter. Er schien kein großes Interesse an den Ritualen der Feen zu haben.
    Juna dagegen fühlte sich hilflos. »Ich weiß überhaupt nicht, wie ich mich dort verhalten soll. Und woher nehme ich meine Begleitung?« Die Worte hingen noch im Raum, als ein breites Lächeln ihr Gesicht erstrahlen ließ. »Aber natürlich! Du kommst mit.«
    »Nein!« Wäre es nicht Lucian gewesen, der ihr gegenübersaß,
hätte sie geglaubt, Panik in seiner Stimme zu hören. Abwehrend hob er die Hände. »Auf keinen Fall!«
    »O doch. Du sagst, ich kann die Einladung nicht absagen. Das kleine Postfräulein will keine Menschen in ihrem Reich sehen. Du bist kein Mensch. Also …«
    »Nein.«
    »Och, komm schon. Ich kenne doch sonst niemanden, der in der Nähe ist und mich begleiten könnte. Bitte, Lucian!«
    Es stellte sich heraus, dass der Dämon ihrem Flehen, oder vielleicht auch ihrem Augenaufschlag, nicht widerstehen konnte. Er versicherte Juna, am Tag der Hochzeit zur Stelle zu sein, und verabschiedete sich anschließend. »Dafür, meine Kleine, bist du mir einen Gefallen schuldig.«
    Sie wünschte sich nicht zum ersten Mal, ihr stünde jemand zur Seite, um sie sicher durch diesen Dschungel aus Fallstricken und gefährlichen Abgründen zu geleiten. »Ihr benehmt euch alle, als würden wir auf dem Basar leben. Also gut. Wenn er nicht gefährlich oder unanständig ist, dann schulde ich dir diesen Gefallen.«
    Lucian beugte sich über sie. »Er wird beides sein. Und glaube mir, das ist das Mindeste, was ich an Gegenleistung erwarte.«
    Natürlich war er verschwunden, bevor sie etwas erwidern konnte.
    »Komm, Finn. Du darfst heute eine letzte Runde auf dem Dachgarten drehen, ich bin hundemüde.«
    Finn machte erst einen Buckel, dann streckte er sich.
    »Ich wusste, dass du mich verstehst. Warum habe ich eigentlich nicht daran gedacht, dich mitzunehmen? Du bist schließlich auch kein Mensch, das gelbe Pixie-Mädchen
schien gehörigen Respekt vor dir zu haben, und den größten Gefallen tut man dir mit einem ausgiebigen Spaziergang und einer Extraportion Futter.«
     
    So unglaublich es klingen mochte, bald darauf war die merkwürdige Einladung beinahe vergessen. Juna hatte ein einsames Weihnachten verbracht und den Notdienst zum Jahreswechsel übernommen. Ein- oder zweimal pro Woche kam Lucian, um ihre Fortschritte im Umgang mit Feuer und Schwert zu begutachten. Er kam ihr niemals zu nahe, aber man konnte die Luft zwischen ihnen geradezu knistern hören, so aufgeladen war sie vor unterdrückter Leidenschaft.
    Die Leute von der Tierrettung zeigten sich begeistert von Junas neuem Auto und forderten sie regelmäßig an, wenn es galt, einen großen Hund oder auch einmal ein Reh zu transportieren, denn der einzige für solche Zwecke geeignete Wagen stand schon länger in der Werkstatt, und das Geld für eine Reparatur musste noch gesammelt werden. In der Klinik hatten gleich zwei Ärzte gekündigt, weil sie sich mit einer niedergelassenen Praxis in London selbstständig machen wollten, und ausgerechnet jetzt schienen alle Haustiere Glasgows zu erkranken.
    Juna behandelte dreibeinige Hunde, halskranke Kanarienvögel oder, wie heute, ein Riesenkaninchen von geradezu monströsen Ausmaßen, das wegen seiner vermeintlichen Fettleibigkeit vom Besitzer gebracht wurde und sich ausgerechnet in der Sprechstunde entschloss, neun winzige Riesenkaninchen zur Welt zu bringen, die der Welt vorerst noch mit geschlossenen Augen begegneten.
    Auch Juna hätte sehr gern einfach die Augen bis zum nächsten Morgen geschlossen, um ihren ersten freien Tag
seit Wochen ausgeschlafen

Weitere Kostenlose Bücher