Fluegelschlag
wie sie ihn insgeheim nannte, erwiderte ihren Gruß nicht. Stattdessen sagte er: »Du gehst in die falsche Richtung!«
»Keineswegs. Mein Auto steht dort vorn.« Juna war froh, in einer Hauptverkehrsstraße geparkt zu haben. Unmittelbar vor einem belebten Supermarkt, weil sie nach dem Meeting noch hatte einkaufen wollen.
Er reagierte verwirrt. »Aber ihr seid doch verabredet.«
Wie sollte sie ihm das erklären? Dass sie nach einem belauschten Halbsatz keine Lust mehr gehabt hatte, das Meeting zu besuchen? Einmal ganz davon abgesehen, dass ihr dieser RFH ohnehin suspekt war, was aber auch daran liegen konnte, dass sie sich in Vereinen noch nie besonders wohlgefühlt hatte.
Sein Gesichtsausdruck veränderte sich nicht, doch sie spürte, wie er gespannt auf ihre Antwort wartete. »Ich habe es mir anders überlegt.«
Nach anfänglicher Überraschung war er nun auf der Hut. Kein Wunder, denn er kannte ihre spezielle Begabung und wusste von Junas Verbindung zu Lucian. Keine günstige
Kombination, um das Vertrauen eines verstoßenen Engels zu erlangen. Sie sah ihn an, als könne sie seine Gedanken immer noch lesen, dabei hatte er sie längst ausgesperrt.
»Und warum sitzt du auf dem Dach und beobachtest deine Freundin?«
»Du hast mich gesehen!« Er kam einen Schritt näher.
Jetzt bleckte Finn die Zähne, und das aufgestellte Nackenfell ließ keinen Zweifel daran, dass er bereit war, sie auch einzusetzen.
Wahrscheinlich hätte Juna gut daran getan, so schnell wie möglich vor diesem Engel davonzurennen. Finn hatte zweifellos den richtigen Riecher.
Stattdessen wandte sie sich sehr ruhig von ihm ab. Es hatte zu regnen begonnen, und wenn er sich mit ihr unterhalten wollte, konnte er sie ebenso gut zum Auto begleiten, in dem leider auch ihr Schirm lag. »Nun tu mal nicht so, als wüsstest du nichts davon! Du hast mich doch neulich im Pub schon deswegen regelrecht beschimpft.«
»Schon, aber …« Er hielt lässig Schritt. »Ich habe noch nie eine Engelseherin wie dich gesehen.«
»Generell? Oder willst du damit sagen, dass Engelseher anders sind als ich?«
»Eigentlich generell , aber irgendwie habe ich den Verdacht, dass du etwas Besonderes bist.«
»Jemand. Ich bin eine Person. Genau genommen ein Mensch. Mir geht es allmählich mächtig auf die Nerven, dass ihr von uns immer in der dritten Person sprecht. Ich meine, minus Person. Als wären wir lästige Dinger, ohne die diese Welt besser dran wäre.«
»So habe ich das nicht gemeint.«
Merkwürdigerweise glaubte sie ihm, und mit milderer Stimme sagte sie nach einer Weile: »Vielleicht ist ja was dran. Richtig gelungen ist die Menschheit vermutlich auch nicht. Spionierst du Sirona deshalb hinterher?«
»Darüber kann ich nicht sprechen.«
Frustriert blieb Juna stehen. »Und warum nicht?« Als er sie nur schweigend ansah, blickte sie sich suchend um. Arian hätte schon längst da sein müssen. Plötzlich spürte sie seine Nähe. »Dann wirst du es wohl ihm erklären müssen.«
Wie aus dem Nichts erschien Arian, und Juna freute sich darüber, dass der fremde Engel erschrocken zusammenfuhr. Dass er anscheinend weniger talentiert darin war, seine himmlischen Artgenossen zu erkennen, als sie selbst, gefiel ihr.
»Daniel! Ich hätte dich niemals in dieser Gegend erwartet.« Sehr groß schien die Wiedersehensfreude aber nicht zu sein. Arian hatte sich so geschickt platziert, dass Juna nun hinter ihm stand. Wie er das gemacht hatte, war ihr ein Rätsel.
»Ich …« Daniel wirkte, als wollte er sich für seine Anwesenheit entschuldigen. Dann riss er sich zusammen und sah Arian gerade ins Gesicht.
Der Regen war in Schnee übergegangen, und die Stimmung zwischen den beiden Engeln schien sich der Außentemperatur anzupassen.
»Jungs, ich will euer Wiedersehen nicht stören, aber vermutlich sind mein Hund und ich die einzigen in dieser netten Runde, die an einer Lungenentzündung sterben können.«
Sofort zog Arian seinen Mantel aus und legte ihn um ihre Schultern. »Du hast Recht.« Er machte eine einladende
Geste. »Ich würde gern etwas mit dir besprechen, möchtest du uns begleiten?«
Daniel legte den Kopf schräg, als ließen sich auf diese Weise seine Gedanken besser ordnen. Stimmlos willigte er schließlich ein und fügte hinzu: »Hier kann ich momentan ohnehin nichts ausrichten.«
»Dann kommt, dort drüben ist ein Pub, das um diese Zeit nicht allzu viele Besucher haben dürfte. Oder schlag du was vor, falls es dir lieber ist.«
»Ein öffentlicher Ort
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