Fluegelschlag
»Nein, du hast mich von Anfang an durchschaut.«
»Ach, wirklich?« Sie küsste ihn zurück.
Daniel trank einen Schluck von seinem Bier und hüstelte.
Er war überhaupt nicht mehr so arrogant und abweisend wie bei ihrem ersten Treffen. In Arians Gegenwart wirkte er beinahe schüchtern, und Juna fand ihn eigentlich ganz nett. Jedenfalls wesentlich sympathischer als Arians Freund Gabriel. Wenn sie es sich recht überlegte, hatte sie außer Arian und Iris bisher aus der vermeintlich guten Ecke überhaupt nur unsympathische Engel kennengelernt.
»Okay, nehmen wir einmal an, sie hat gesehen, was bei meinen Eltern passiert ist, und am Abend zuvor hat Elsa mich als Dämonen-Schlampe bezeichnet. Dann könnte man nachvollziehen, dass sie mich als Gefahr empfunden hat. Vielleicht wollte sie deshalb nicht, dass wir uns begegnen?« Juna wandte sich direkt an Daniel. »Um dich zu schützen.«
»Mir hat sie gesagt, du hättest mich nicht sehen wollen.« Daniel war bleich geworden.
»Im Gegenteil, sie hat so von dir geschwärmt, dass ich ziemlich neugierig auf ihren Engel war. Aber sie meinte, du seist viel unterwegs.«
Juna fiel noch etwas ein. »Hab ihr jemals einen gemeinsamen Urlaub in Paris verbracht?«
»Paris?« Er sah sie verständnislos an. »Was hätten wir dort tun sollen?«
»Du bist nicht wirklich ein Romantiker, kann das sein?« Juna lachte, obwohl ihr nicht danach zumute war.
Daniel sah Arian an, der sich bemühte, ein Lächeln zu unterdrücken. »Daniel hat sehr wenig Zeit auf der Erde verbracht, bevor … Was ist eigentlich damals genau passiert?«
Der Engel zuckte zusammen. Die letzten Worte Arians hatten geklungen, als wären sie aus Eis gemeißelt. Hier sprach der hochrangige Wächter aus ihm, der er einmal gewesen war.
Schließlich erzählte er stockend von seiner Verbannung. »Es war mein zweiter Einsatz. Sie sagte, sie hätte den Auftrag, mich zu unterstützen. Es gab keinen Grund, ihr zu misstrauen. Ich hatte auch beim ersten Einsatz mit jemandem zusammenarbeiten müssen. Sie war sehr schön und ich … danach hat sie mir irgendetwas zu trinken gegeben. Als ich wieder erwachte, versuchte sie gerade, mich durch das Portal nach Gehenna zu zerren.«
»Und du bist entkommen?«, fragte Juna erstaunt.
»Knapp.« Mehr wollte er offenbar nicht dazu sagen.
Arian blickte ihn sekundenlang durchdringend an. Dann lehnte er sich zurück. »Ich sehe hier ziemlich klar. Sirona ist unter den Einfluss gefährlicher Kräfte geraten.« Er ließ das Attentat auf Juna unerwähnt. »Und natürlich bist du darauf schon selbst gekommen. Aber was ich nicht verstehe … warum hast du dich nicht einfach unsichtbar in eines ihrer Meetings eingeschlichen?«
»Weil es Gerüchte gibt, dass Engelseher ihr Unwesen treiben.« Daniel sah Juna verlegen an, doch sie lächelte ihm
aufmunternd zu. »Ihr habt vielleicht davon gehört, dass im Sommer Schutzengel verschwunden sind? Den Sterblichen, der darin involviert war, haben wir seither genau beobachtet. Er war in Monte Carlo und zuletzt in Las Vegas aktiv. Dort ist er allerdings eines Tages spurlos verschwunden, und es gibt Gerüchte, dass er zurück sein soll.«
»John!«, riefen Arian und Juna wie aus einem Munde.
»Ihr kennt ihn?«
Junas Magen begann zu revoltieren, und sie lehnte sich an Arian, der in seiner unnachahmlichen Art durch eine bloße Berührung wieder Ruhe in ihrer Seele schaffte und zu Daniel sagte: »John ist Junas Bruder. Das ist übrigens, neben Lucians Interesse an seinen Diensten, der einzige Grund, warum er überhaupt noch am Leben ist. Wir hatten die Hoffnung, er würde aus seinen Fehlern lernen.« Er sah Juna an. »Wusstest du, dass er wieder in der Gegend ist?«
»Ich hatte keine Ahnung. Aber das erklärt, warum seine Mutter neuerdings nicht mehr anruft, um mich zu beschimpfen. Was glaubst du, wo er sich versteckt hält?«
»Bei deinem Großvater?«
»Himmel, nein! Sie hassen sich.« Juna überlegte. »Aber wenn er Geld braucht … und Großvater steht nicht gerade auf dich.«
»Mit anderen Worten, wir sollten mal nach dem Rechten sehen.« Arian stand auf. »Möchtest du mit uns kommen?«
»Wenn ich darf.«
Juna fand Daniels bereitwillige Kooperation interessant - er schien Arian regelrecht anzuhimmeln, sofern dies im Zusammenhang mit verstoßenen Engeln ein angemessenes Wort war. Arian, der vor seinem Fall die rechte Hand der
einzigartigen Nephthys gewesen war, genoss offenbar einen gewissen Ruf, was für Daniel nicht galt, weil er quasi in
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