Fluegelschlag
jetzt genau das Richtige.« Anders als sonst schloss sie die Badezimmertür hinter sich ab.
Wahrscheinlich hatte sie noch nie so lange geduscht wie an diesem Tag. Doch irgendwann war ihre Haut schrumpelig,
und Juna begann trotz des heißen Wasserstrahls zu frieren. Sehr sauber, eingecremt und gepflegt bis in die Haarspitzen verließ sie am Ende ihre selbst gewählte Zelle. Auf dem Kopf trug sie einen riesigen weißen Frotteeturban, und der dicke Bademantel gaukelte eine Sicherheit vor, die sie in ihrem Inneren nicht fühlte. Da halfen auch die flauschigen Plüschpuschen mit Hasenohren nicht, die Sirona ihr geschenkt hatte.
Arian betrachtete die wohlriechende Erscheinung, und ein amüsiertes Lächeln huschte kurz über sein Gesicht.
»Bist du nun bereit?«
Juna schlurfte zu ihm herüber - eine andere Gangart erlaubten ihre Hausschuhe nicht - und legte die Hände um seinen Nacken. »Nicht ganz. Küss mich!«
Er zog sie näher an sich heran, beugte sich zu ihr herab und küsste sie so zart, dass sie seine Lippen kaum spürte.
Juna stellte sich auf die Zehenspitzen, lehnte sich an seine Brust und erwiderte den Kuss ebenso behutsam, weil sie fürchtete, seine Leidenschaft zu wecken - oder ihre eigene. Schließlich aber ließ sie sich an seinem Körper hinabgleiten, bis sie wieder fest stand, und genoss die vertraute Wärme. Dann zwang sie sich, Abstand zu nehmen, durchquerte den Raum und setzte sich aufs Sofa. Genau genommen auf ihre Hände. Die Knie fest zusammengepresst, sah sie Arian erwartungsvoll an. »Also?«
Er trug seine Sonnenbrille nicht mehr, und sie konnte sich nicht überwinden, ihn direkt anzusehen. Verlegen starrte sie auf ihre Zehen, mit denen sie kleine Kreise auf den Teppich malte.
»Schau mich an.« Arian sprach sehr leise. »Bitte.«
Sie hob den Blick und fixierte sein Kinn.
»Juna, bitte!«
Endlich sah sie ihn an. Das war Arian, der Mann, Engel - was auch immer -, den sie liebte. Juna richtete sich auf. »Was ist mit deiner Familie?«
Arian setzte sich in den Sessel, um ihr so viel Freiraum wie möglich zu lassen, und begann zu reden. Zuerst erzählte er, wie während der Wanderung allmählich seine Erinnerung zurückgekehrt war. Dann sprach er von seinem Leben als Sterblicher und wie ihm eines Tages Nephthys erschienen war. »Sie hat mir eröffnet, ich sei ein Findelkind.«
Juna sah ihn mitleidig an. »Das muss ein Schock für dich gewesen sein.«
»Meine Welt lag in Trümmern. Nephthys sagte, mein Vater sei ein grausamer Herrscher, der erst kürzlich von meiner Existenz erfahren habe. Jetzt sei er auf der Suche nach mir und würde nicht zögern, jeden mit einem schrecklichen Tod zu bestrafen, der in den Kindesentzug, wie sie es nannte, verwickelt war.
Nephthys bot mir einen Ausweg an. Wir wussten nichts von Engeln, aber mit unseren Göttern waren wir vertraut, und mir war klar, dass sie eines Tages eine Gegenleistung für ihre Hilfe verlangen würde. Dennoch flehte ich sie an, meine Familie zu beschützen. Merkwürdigerweise schien sie dies milde zu stimmen, und sie versprach, nicht nur mich vor ihm zu schützen, sondern auch die Menschen, die mich aufgezogen hatten, als wäre ich ihr leiblicher Sohn.«
»Und, hat sie es getan?«
»Meiner Ziehfamilie ist nichts geschehen, obwohl später das Königreich, in dem wir lebten, vernichtet wurde und die Menschen viele Jahrhunderte unter grausamen Herrschern zu leiden hatten. Meinem Vater bin ich niemals begegnet.«
Juna wartete darauf, dass er weitersprach. Als er gedankenverloren schwieg, fragte sie: »Bist du darüber traurig?«
Arian lachte. Es klang bitter. »Keineswegs. Mein Vater, das hat sich später herausgestellt, ist der Lichtbringer.«
Erst begriff sie nicht. Doch dann zeichnete sich ungläubiges Entsetzen auf ihrem Gesicht ab. Arian machte Anstalten aufzustehen, und Juna hielt ihn zurück. Eine Träne lief über ihr Gesicht. »Wie furchtbar! Und du hast es die ganze Zeit gewusst?«
Er nickte. »Ich konnte dir nichts sagen. Es ist schon für mich schwer genug, aber du … Ich hatte nicht den Mut, es dir zu erzählen.« Ein einzigartiges Geständnis für einen Krieger wie ihn.
»Wer weiß noch davon?« Juna erinnerte sich an die erste Begegnung zwischen Arian und dem Marquis. »Lucian, oder irre ich mich?«
»Er ist einer der wenigen. Keiner von uns hatte ein Interesse daran, diese Verwandtschaft publik zu machen. Mein Vater soll getobt haben, als er erfuhr, dass ich in Nephthys’ Dienste getreten und ihm auf diese Weise
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