Fluegelschlag
Beschläge in Form von Totenköpfen an seinen Stiefeln zu bemerken. Gabriels Stimme ließ ihre Nackenhärchen auf eine neue, ziemlich unangenehme Art vibrieren. Er klang wie der dunkle Engel, der sie bedroht hatte. Instinktiv suchte sie bei Arian Schutz, der unerwartet kühl reagierte. »Juna!«, warnte er und wich einen Schritt zurück.
Wieder mischte sich Gabriel ein. »Warum so wankelmütig? Ich dachte, ihr beiden seid euch bereits einig geworden.«
Juna begriff nicht, was er damit meinte, aber Arian fand endlich aus seinem offensichtlichen Schockzustand heraus und ging drohend auf Gabriel zu. »Warum sind wir hier?«
»Keine Ahnung. Vielleicht hattest du das Bedürfnis, ein gemütlicheres Plätzchen für eure Zweisamkeit zu finden als den luftigen Sitz dort oben auf dem Ben Nevis.« Er zwinkerte Juna zu, die ihm mit einem erschrockenen Blick antwortete. »Keine Sorge, euer Geheimnis ist bei mir sicher.«
Sie sah von einem Mann zum anderen. »Ich glaube, allmählich seid ihr mir mehr als nur eine kurze Erklärung
schuldig!« Ihre Stimme verriet nichts von der Unsicherheit, die sie befallen hatte.
»Dein Freund da«, Gabriel klopfte neben sich auf das Polster, »hat dir wohl noch nicht viel über sich erzählt? Ich hole das gern nach, wenn du möchtest. Mach schön Platz, es kann eine Weile dauern.«
»Du vergreifst dich im Ton, mein Freund !« Arian verschränkt die Arme vor der Brust und sah ihn drohend an. »Sag, was du zu sagen hast, und dann verschwinde.«
Als Gabriel sah, dass Juna seiner Einladung nicht folgen wollte, zog er einen Schlüsselbund aus der Hosentasche und legte ihn auf einen niedrigen Tisch neben dem Sofa. Dann stand er auf. »Also gut. Ich habe ein bisschen nachgeholfen, weil es aussah, als könntet ihr ein Zimmer gebrauchen. Wie hätte ich wissen sollen, dass ihr gleich beim ersten Mal so abenteuerlustig sein würdet.« Er zwinkerte Juna zu, die schnell zur Seite sah.
Ehe Arian ihn erneut zurechtweisen konnte, wandte er sich ihm zu, und jeglicher Humor verschwand aus seinem Gesicht. »Spaß beiseite. Ich bin hier, um dich zu warnen. Nach dem Zwischenfall in der Lagerhalle ist deine Verbindung zu der Kleinen kein Geheimnis mehr. Ich kann kaum glauben, dass du sie da reingezogen hast.«
Juna sah ihn erschrocken an. »Was habe ich damit zu tun?« »Das frage ich mich auch …« Er kam ganz nahe und streckte die Hand aus, um sie ihr auf ihre Stirn zu legen.
»Gabriel!«, warnte Arian. Es klang eher wie ein Grollen.
»Oh, schon gut. Dann erzähl du ihr den Rest eben selbst.« Er schob eine der großen Terrassentüren auf. Bevor er hinaustrat, drehte er sich noch einmal um. »Den Seelen im Einkaufszentrum konnte niemand mehr helfen. Sie sind
verloren.« Ohne eine Antwort abzuwarten, schwang er sich auf das Geländer der Dachterrasse. Nur kurz sah Juna silberfarbene Schwingen aufblitzen, dann war er fort.
Erleichtert drehte sie sich zu Arian um, der grimmig aus dem Fenster starrte.
»Kannst du mir bitte erklären, was das sollte?« Als Arian nicht antwortete, versuchte sie es mit Humor. »Und ich habe immer geglaubt, alle Engel hätten weiße Flügel.«
Langsam drehte er den Kopf in ihre Richtung, aber Juna hatte das Gefühl, dass er sie nicht einmal richtig wahrnahm. »Nein«, sagte er schließlich. Und dann, als täte ihm sein harscher Ton leid: »Nein, das haben sie nicht, und ich fürchte, Gabriel hat Recht. Ich hätte dich da niemals reinziehen dürfen. Bitte setz dich.«
Mit klopfendem Herzen kauerte sie sich in eine Ecke des Sofas, zog die Knie bis zum Kinn und schlang die Arme um ihre Beine.
Arian ließ sich am anderen Ende nieder, um möglichst viel Abstand zu halten. Wenn er ihr jetzt erzählte, wer er wirklich war, würde sie ihn verachten und sich fürchten. Doch mit der Aussicht, die ihm dieser Platz gewährte, hatte er nicht gerechnet: Junas Kleid war hochgerutscht, und der Anblick ihrer zarten Haut beschleunigte unwillkürlich seinen Atem. Als sie den Saum des Kleids so weit wie möglich herunterzog und langsam die Füße zurück auf den Boden stellte, entfuhr ihm ein Seufzer. Ob aus Erleichterung oder Enttäuschung, hätte Arian selbst nicht sagen können. Er fühlte sich wie ein Junge, den man dabei ertappt hatte, wie er durchs Schlüsselloch spähte und dort Dinge sah, die nicht für seine Augen bestimmt waren. Schnell blickte er zur Seite
und räusperte sich. »Wenn jemand von uns auf die Erde gesandt wird, dann ist der Ort, an dem er landet, oftmals ein
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