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Fluegelschlag

Titel: Fluegelschlag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeanine Krock
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heftige Reaktion war ihm völlig rätselhaft, er hatte doch gerade gesagt, dass er sie nicht für schuldig hielt, die Schutzengel verraten zu haben. Warum weinte sie bloß?
    Einen Wimpernschlag später war er bei ihr. Tränen gehörten zu den wenigen Dingen, die er überhaupt nicht ertragen konnte. Mehr als einmal hatte er von seinen Mitstreitern
verständnislose Blicke geerntet, sobald er versucht hatte, eine solche Reaktion bei den emotional leider ziemlich instabilen Erdbewohnern zu vermeiden oder ihnen Schmerz zu ersparen. Stets war es ihm gelungen, sein Handeln logisch zu begründen - zumindest hatte er bisher angenommen, dass dem so war. Wahrscheinlich hat Nephthys schon lange gewusst, dass mit mir etwas nicht stimmt , dachte er und stellte fest, dass es ihm im Augenblick herzlich gleichgültig war.
    Arian beugte sich vor und summte Juna magische Engelgesänge ins Ohr. Das hatte auch in der Nacht funktioniert, als sie von schrecklichen Alpträumen heimgesucht worden war. Zu seiner großen Erleichterung beruhigte sie sich auch dieses Mal. Sie schnüffelte noch ein wenig, kramte in ihrer Jackentasche und zog ein zerknittertes Taschentuch hervor, mit dem sie sich schließlich resolut die letzte Träne aus dem Augenwinkel wischte. Es bedurfte Arians gesamter Selbstdisziplin, sie nicht zu küssen. Erschöpft lehnte er sich zurück.
    Nach seinem Sturz hätte es leichter für ihn sein müssen, seine Gefühle zu kontrollieren - schließlich musste er sie nicht einmal mehr verbergen. Doch genau das Gegenteil war der Fall. Die Emotionen berührten ihn nicht wie früher nur gelegentlich, sondern waren in den vergangenen Tagen zu ständigen Begleitern geworden - eine Gesellschaft, auf die er im Moment sehr gut verzichten konnte. Aber sie ließen sich nicht einfach abstellen, auch wenn er sich das gewünscht hätte. Allmählich kam es ihm vor, als verliere er seit seiner Verbannung aus Elysium unentwegt wertvolle Zeit damit, sie zu bändigen. Ja, fast schien es ihm, als könne er seither überhaupt keinen klaren Gedanken mehr fassen.
Die verwirrenden Signale, die Juna aussandte, die ungezügelte Leidenschaft, ihre sanfte Hingabe und jetzt ihre Tränen - all das setzte ihm unerwartet hart zu, und Arian sehnte sich seit viertausend Jahren das erste Mal wieder nach ein paar Stunden Schlaf. Er war so sehr mit sich selbst beschäftigt, dass es eine Weile dauerte, bis er begriff, dass sie angespannt neben ihm saß und über seine Schulter hinweg zum Fenster blickte.
    »Was ist?« Er drehte sich um und sprang auf.
    Gabriel hockte wie ein spitzbübischer Teufel auf dem Geländer und winkte ihm zu, bevor er sich rückwärts fallen ließ und aus ihrem Blickfeld verschwand. Juna stieß einen Schrei aus. Erschreckt hielt sie die Hand vor den Mund. Dann sah sie Arians starren Gesichtsausdruck und begann zu kichern. »Er ist doch auch ein Engel, ihm kann überhaupt nichts passieren.« Eine Spur Hysterie lag in ihrer Stimme. Arian konnte es bestens nachvollziehen. Sie hätte Gabriel gar nicht entdecken dürfen, er hatte nämlich in seiner für Menschen unsichtbaren Form auf dem Geländer gesessen. Von einer Sterblichen, die in der Lage war, einen Vertreter der Vigilie zu sehen, hatte er seit mehr als zweitausend Jahren nicht gehört. Vorsichtig fragte er: »Was genau hast du in der Lagerhalle beobachtet?«
     
    Juna fand seine Gedankengänge ziemlich sprunghaft und wünschte, er hielte sie wieder im Arm, statt wie ein Tiger im Käfig vor dem Fenster auf und ab zu gehen. »Meinst du den Schutzengel oder den Kampf?«
    »Welchen Kampf?« Arian wurde blass.
    »Gab es denn mehrere? Ich meine den, bei dem du mit diesem gruseligen Kerl unter der Decke hingst …«

     
    Blitzschnell beugte sich Arian vor und küsste sie. Nicht als Mann, so wie vorhin auf dem Berg, auf den er mit ihr geflohen war, weil er selbst die Weite gebraucht hatte, um zur Ruhe zu kommen, sondern als Abgesandter des Himmels. Später würde sie sich wieder an alles erinnern, weil Seher immun gegen diese Magie waren.
    Sein Kuss brachte Ruhe in die Seelen, konnte diese zuweilen sogar befreien. Arian war in dieser Kunst immer besonders talentiert gewesen und hatte deshalb den geschändeten Schutzengel so schnell in seine himmlische Heimat zurückschicken können. Dort würde sich hoffentlich jemand um das bedauernswerte Geschöpf kümmern.
    »Ist das Sternenstaub?«, unterbrach Juna seine Gedanken und sah verwundert auf die winzigen Partikel, die vor dem Dunkel der Fenster

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