Flugrausch
zuckte mit den Schultern.
»Also kein ernsthafter Versuch. Kein vernünftiger tiefer Schnitt am Handgelenk.«
Challis seufzte. »Nein.«
»Ein Hilfeschrei?«
Challis schnappte: »Irgend so was.«
Tessas Stimme wurde sanft. »Es ist langsam an der Zeit loszulassen, Hal.«
Challis ging durchs Zimmer zur Whiskyflasche. »So einfach ist das nicht.«
»Natürlich ist es das. Deine Frau zieht an der Strippe, und du kommst. Sie sagt: ›Spring‹, und du fragst: ›Wie hoch?‹«
»Das zweite Mal hat sie mich gar nicht angerufen, sondern ihre Eltern. Also halt doch einfach den Mund, verdammt.«
Das »verdammt« klang einfach nicht richtig. Es sorgte für einen Misston, klang eher gezwungen, unehrlich.
Challis sah den Schmerz, den er verursacht hatte: Tessa wandte sich von ihm ab, starrte einsam und verärgert in die dunklen Schatten in den Zimmerwinkeln. Als sie wieder sprach, klang ihre Stimme tief und hohl. »Ich hatte mich so auf unsere Wanderung gefreut. Nahezu perfektes Wetter, der richtige Begleiter. Aber das wissen wir ja, stimmts?«
Challis erwiderte nichts. Er nippte trübselig an seinem Scotch und wanderte in Gedanken all die Jahre an einen Ort in einer Zeit zurück, die ihn nicht mehr losließ. Er war damals einer von vier CIB-Detectives in einer Stadt in der alten Goldminengegend nördlich von Melbourne. Seine ruhelose und schnell gelangweilte Frau hatte sich mit einem seiner Kollegen eingelassen. Der Kollege verliebte sich in sie, lockte Challis an einen verlassenen Ort und versuchte ihn umzubringen. Nun schlurfte der Kollege mit einem von einer Kugel zerschmetterten Oberschenkelknochen auf einem Gefängnishof herum, und Challis’ Frau saß acht Jahre ab, versuchter Mord.
Ab und zu rief sie an und sagte, dass es ihr Leid täte, dann, dass es ihr nicht Leid täte und sie es jederzeit wieder versuchen würde. Sie brauchte ihn, sie hasste ihn. Er war zu gut für sie, er war nur ein Haufen Mist. Die meiste Zeit verzehrte sie sich nach ihm und was er repräsentierte und nach den gemeinsamen Zeiten, bevor alles schief ging. Challis wollte sie nicht zurück, er liebte sie nicht mehr, aber er fühlte sich verantwortlich, so als hätte er ein besserer Mann sein sollen, zumindest die Art von Mann, bei dem sie ihren Liebhaber nicht hätte bitten müssen, ihn umzubringen. Wie Tessa Kane immer wieder sagte, es war an der Zeit, sie abzuschütteln. Endlich Zeit, sich scheiden zu lassen.
»Und ihre Eltern waren auch da, nehme ich an?«
»Ja.«
Eigentlich mochte Challis die Eltern seiner Frau. Sie waren verwirrt, entschuldigten sich ständig, quälten sich so wie er damit herum, sie seien irgendwie verantwortlich für alles, und es tat ihnen Leid, dass ihre Tochter einem derart netten Mann so etwas hatte antun wollen.
Tessa schnaubte. Challis fand nicht, dass es verächtlich klang, sondern eher nach dumpfem Schmerz und Neid, so als habe sie das Gefühl, keinerlei Ansprüche auf ihn zu haben. Er stellte seinen Scotch hin. »Tess …«
»Unterwegs ist mir was Komisches passiert. Willst du es hören?«
Sie sah ihn an und blinzelte sich lächelnd die Tränen aus den Augen.
Erleichterung durchflutete ihn. »Natürlich.«
»Heute Nachmittag bin ich über einen menschenleeren Strandabschnitt bei Flinders gelaufen. Jede Menge Seegras und Tang am Strand, starker Wind, Wellen, na, du weißt ja, wie windig es heute war.«
Challis nickte. Hatte sie ihn gesehen? Nein.
»Ich geh so vor mich hin, da kommt ein Allrad direkt über den Sand auf mich zu.«
Challis’ Nerven begannen zu kribbeln. »Erzähl weiter.«
»Ein Toyota-Pick-up, weiß, um genau zu sein. Zwei Männer. Der Fahrer brüllt mich an. Was ich hier mache, wer noch bei mir ist, ob ich irgendwelche Kisten am Strand gefunden habe, ob ich sie vielleicht versteckt habe. Er war ziemlich aggressiv. Dann donnerte er weiter den Strand entlang. Ich war viel zu überrascht, um mir das Nummernschild zu merken.«
»Drogenlieferung«, sagte Challis knapp.
»Würde ich auch so sehen.«
Challis war bei der Mordkommission, nicht bei der Drogenfahndung, aber der Handel mit Drogen führte oft zu Mord, also interessierte ihn das durchaus. »Es hat gestern Nacht einen Sturm gegeben«, sagte er.
Tessa nickte. »Entweder war der Stoff an einer Boje festgemacht und hat sich losgerissen, oder er wurde von einem Schiff oder einer Jacht über Bord geworfen oder weggespült.«
»Oder die Lieferung wurde gestohlen.«
»Auch das. Oder die ganze Geschichte war völlig harmlos.
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