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Flußfahrt

Flußfahrt

Titel: Flußfahrt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Dickey
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ein. Die Hauptströmung teilte sich vor uns und verlief, soweit ich beurteilen konnte, gerade weiter, obwohl der rascher fließende Arm sich in der Stromschnelle verlor.
    »Achte auf die Felsen!« Ich schrie so laut ich konnte. »Wir wollen genau die Mitte halten.«
    »Okay«, sagte Drew. »Nur los.«
    Wir hielten auf die Stelle zu, wo sich die Strömung teilte. Das Kanu schoß davon, und das Wildwasser schleuderte uns hin und her. Wir gerieten in den Sog der Stromschnelle, so daß wir das Gefühl hatten, der Fluß sei unter uns wie ein Teppich weggezogen worden. Wir kratzten, schrammten und polterten über Steine hinweg und versuchten mit aller Kraft, den Bug des Kanus stromabwärts zu halten. Drew plagte sich vor mir mit dem Paddel ab, um an eine ruhigere Stelle zu gelangen. Er verstand nichts von der Sache, doch er behielt die Nerven und verfiel nicht in Panik. Jedesmal, wenn er mit dem Paddel die Seite wechselte, tat ich das gleiche. Jetzt legte sich das Boot schräg, und das Wasser riß uns herum und trieb uns quer zur Strömung wie verrückt vor sich her. Ich fühlte, wie wir die Kontrolle über das Kanu verloren. Aber Drew stemmte sein Paddel richtig gegen den Strom, und ich half nach; wir lagen wieder richtig. Das Kanu kratzte und schlug über das Gestein, aber wir lagen gut in der Strömung, zitterten vor Anstrengung und Glück, als wir über die tödlichen, zerklüfteten Felsen hinwegfuhren. Ich schrie Drew zu, er solle sein Paddel auf der einen Seite halten und nicht ständig wechseln.
    Er wählte die rechte Seite – dort schienen die größten Felsen zu sein; man sah sie noch immer unter der Wasseroberfläche drohend aufragen. Ich stieß uns vorwärts, erhöhte die Geschwindigkeit, wo immer es möglich war, und stemmte mich mit meinem Paddel gegen die Strömung, sobald wir den Felsen an der rechten Seite zu nahe kamen. Allmählich nahm unser Kampf die Form gewohnter Arbeit an, und ich fühlte mich sicherer. Nun konnte ich an Drew vorbeisehen, und ich bemerkte, wie das weiße Wasser langsamer dahinströmte und sich grün und dunkel ausbreitete. Noch ein kurzes Aufbrausen, das uns zwischen zwei riesige Felsen zwang, und dann hatten wir es überstanden.
    Drew blickte mit einem Ausdruck freudiger Überraschung zu mir zurück.
    »Der alte Lewis«, sagte er, »der kennt sich aus.«
    Ich sah zu dem anderen Kanu hinüber, das ein Stück vor uns trieb. Bobby und Lewis glitten über das Wasser, das jetzt, nach der Stromschnelle, merkwürdig leblos aussah. Es war das Wasser des Abends. Die Sonne schien nicht mehr darauf, und das Glitzern auf den Wellen schwand immer rascher. Weit vor uns hörte man das Geräusch von anderen Stromschnellen oder Wasserfällen, und ich hätte gewettet, daß der Fluß auch dort wieder eine Biegung machte. Ich war furchtbar müde, aber noch nicht zerschlagen. Ebenso wie die Sonne hatte ich meine Energie verloren, und die Nachtkälte fiel mich schneidend an. Ich hatte genug von dem Fluß. Langsam trieben wir weiter. Die Strömung drang in meine Muskeln ein, in meinen ganzen Körper, so als trüge ich sie in mir. Sie teilte sich mir durch die Paddel mit.
    Ich fischte zwei Bierdosen aus unserem Proviantsack, riß sie auf und reichte die eine nach vorn. Drew lehnte sich zurück und nahm sie. Ein letzter Widerschein der untergegangenen Sonne funkelte dunkel in seinem einen Brillenglas.
    »Wir Pioniere haben schon ein hartes Leben«, sagte er und pfiff ein paar Takte aus dem Lied ›In meinem Birkenrindenkanu‹ vor sich hin.
    Ich hob die Bierdose an die Lippen und trank, ließ die Flüssigkeit so schnell in meine Kehle laufen, wie es ging. Meine Nylonhose trocknete allmählich und klebte unangenehm an den Beinen. Ich lockerte sie etwas und griff wieder zum Paddel. Ich fühlte mich prächtig. Wir hatten das andere Boot beinahe erreicht. Wir paddelten kaum noch; das Wasser trug uns in die Dunkelheit, die uns, flußaufwärts, entgegenkam. Keine Stromschnellen mehr – obwohl wir sie noch immer in der Ferne hörten –, und wir trieben zwischen felsigen Ufern und hohen Kiefern mit traurig herabhängenden Zweigen dahin.
    Einmal lief ein kleiner, von Weiden und Büschen gesäumter Weg ein paar hundert Meter am linken Ufer entlang und endete dann vor einem umgestürzten Baum. Im sterbenden Blau zog ein Falke seine Kreise. Die Konturen seiner Flügel hoben sich scharf gegen den dichten Abendhimmel ab. Wir glitten durch eine stille Wildnis. Ich erinnerte mich an frühere Angstgefühle, und schon

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